Das plötzliche Entstehen politischer Bewegungen bannt die Aufmerksamkeit manchmal so stark, dass das abrupte Verschwinden anderer kaum auffällt. An diesen Konjunkturen zeigt sich, dass Öffentlichkeiten nichts Statisches und klar Umgrenztes sind. Occupy Wall Street (2011–12) war eine solche neue Mini-Öffentlichkeit, zunächst ganz lokal, dann aber durch die transnationalen sozialen Netzwerke und mit leichter Verzögerung von den Nachrichtenmedien in der ganzen Welt bekannt gemacht. Gehalten hat sie, als politisch-sozialer Zusammenhang, nur wenige Monate; und in den USA nach der Trump-Wahl erscheint ihr kritischer Impuls, der allerdings immer deutlich milieu-spezifisch war, kaum mehr mobilisierungsfähig zu sein. Aber auch dieser Eindruck kann täuschen, und, wer weiß, vielleicht wartet seine nächste Gestalt schon an einer ganz unerwarteten Stelle auf ihren Auftritt.
Mit einer überraschenden Innovation, die schnell zum Symbol wurde, hat sich Occupy Wall Street in die Geschichtsbücher eingeschrieben. Das human microphone oder people’s microphone entstand als Reaktion auf eine behördliche Auflage, am Liberty Plaza bzw. Zuccotti Park keine elektrische Verstärkung zu verwenden. Das massenhafte Nachsprechen einzelner Sätze aus den vorderen in die hinteren Reihen der Versammlung sicherte allgemeine Informiertheit, förderte prägnante Redestile und sorgte für Gemeinschaftsgefühl und einen wohltuenden Humor.
Eine interessante Lektion für die nächsten kritischen Bewegungen hält diese skurrile historische Erinnerung aber vielleicht bereit, die zur Zeit womöglich sogar eher von rechts als von links beachtet wird. Trotzt aller digitalen Vernetzung brauchen Protest und Einmischung eine Form körperlicher und sprachlicher Präsenz, ohne die eine sich zusammenfindende Menge eine bloße Ansammlung von Individuen ist. Das Finden eines gemeinsamen Sprechens setzt erst eine Dynamik in Gang, in der das öffentliche Zusammenfinden zum gemeinsamen Handeln wird, und damit zum politischen Ereignis. Es gehört zur Ironie der Geschichte dieser Gegenöffentlichkeit, dass von ihr solche Kommunikationsformen, Slogans und Aktionen eher in Erinnerung bleiben als programmatische Vorstöße und Themen. Aber vielleicht kann dies dazu anregen, darüber nachzudenken, in welcher Form und unter welchen Bedingungen heute überhaupt das Wort ergriffen und eine öffentliche Stimme gefunden werden kann.