Ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland sei »mäßig bis saumäßig« oder »überhaupt nicht« informiert, konstatierte EU-Kommissar Günther Oettinger auf dem Zeitungskongress des BDZV im September 2016 in Berlin. Er meinte möglicherweise jene Menschen, die im »postfaktischen Zeitalter« in den »Echoräumen« der sozialen Medien ihren Gefühlen folgen und sich unkritisch Populisten und Europaskeptikern ausliefern. Ist Zynismus, die Unterstellung von Unwissen, die Publikumsbeschimpfung wirklich die richtige Antwort auf die uns alle beschäftigenden Herausforderungen? Wäre es nicht sinnvoller, mit Ruhe und Gelassenheit zu analysieren, wen wir mit politischer Bildung erreichen und wen eben (noch) nicht? In der heterogenen, transnationalen Migrationsgesellschaft des 21. Jahrhundert gibt es immer neue Zielgruppen, Milieus und Communities, die in den Blick geraten - und die politische Bildung in den Blick nimmt. Dieser Beitrag konzentriert sich exemplarisch auf vier Zielgruppen.
Politisch Interessierte
Politische Bildung funktioniert mit ohnehin bereits politisch Interessierten und formal höher Gebildeten am besten. Von ihnen gibt es in Deutschland nach wie vor viele. Die Unterstützung politikinteressierter Bürgerinnen und Bürger ist und bleibt eine zentrale Aufgabe politischer Bildung. Sie steht für eine plurale politische Bildung, die sich auf die Ambiguitäten eines Bildungsprozesses einlässt. In einer Zeit, in der Vereinfacher und Nationalisten sich zu Wortführern aufschwingen, muss politische Bildung die Resilienz der Mitte gegen extremistische und populistische Verführungen stärken. Unsere Botschaft lautet: Wir stärken die Zivilgesellschaft. Wir sind an der Seite derer, die sich in diesem freiheitlichen Rechtsstaat engagieren. Wir stärken das Bewusstsein für demokratische Aushandlungsprozesse in einem anstrengenden politischen System. Denn Demokratie muss permanent erarbeitet und bekräftigt werden. Es lohnt sich zu streiten und für die Demokratie einzutreten. Denn es nutzt allen und grenzt niemanden aus.Schülerinnen und Schüler
Politische Bildung gehört in Deutschland zum formalen Ausbildungsprozess. Der Politik- und Gemeinschaftskundeunterricht ist fester Bestandteil der Lehrpläne - wenngleich mit unterschiedlichen Fachbezeichnungen und Ausprägungen. Aber: Immer häufiger wird das Fach Politik fachfremd unterrichtet und vernachlässigt. PISA hat die MINT Fächer priorisiert. Politik, Geschichte und Sozialkunde werden immer häufiger als weniger relevant und bildungswirksam eingeschätzt und deshalb hintangestellt - gerade auch in den Berufsschulen. In Zeiten von Pegida und Fakenews aber wird politische Orientierung immer wichtiger. Ich bin der festen Auffassung, Schulpolitik sollte von der »PISA-Manie« abrücken und neben dem wirtschaftlich denkenden Menschen - dem »homo oeconomicus« - wieder stärker den politisch denkenden Menschen - den »homo politicus« - als Bildungsziel fokussieren. Wünschenswert sind ein früherer Bildungsbeginn und eine deutliche Markierung politisch bildnerischer Anteile bereits im Sachkundeunterricht der Grundschule. Um politische Bildung nicht nur als Fach, sondern weiterhin als Aufgabe der ganzen Schule zu verstehen, sollte sie in der Lehramtsausbildung zum Pflichtfach für alle Studierenden werden, unabhängig vom Fach, das sie später unterrichten. Und sie sollte auf die Beteiligungsdimensionen der gesamten Schulorganisation bis hin zur nachbarschaftlichen Vernetzung erstreckt werden. Politische Bildung heißt alltäglich Verantwortung zu übernehmen. [...]