Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #22: Zukunft der Öffentlichkeit




EDITORIAL

 
Liebe Leserin, lieber Leser


BEGEGNUNG

 
Sabine Meier
Third Places
Öffentliche Räume als Begegnungsorte mit dem Unbekannten
 
Ole Meinefeld
Geteilte Erfahrung
Für eine Politik des öffentlichen Raums
 
Heinz Bude
Begegnung und BerĂĽhrung
Was für eine Gesellschaft wäre eine »inklusive Gesellschaft«?
 
Carlos Becker
Kommunikative Autonomie
Zum demokratischen Wert der Privatheit
 
Darin Barney
Partizipatorische Verhältnisse
Verkehrung eines demokratischen Versprechens?
 
Thomas KrĂĽger
Wen erreicht politische Bildung?
Von Interessierten, SchĂĽler/innen, Bildungsbenachteiligten und Demokratieverdrossenen
 
Christoph Raiser
Andere Geschichten
Zur Erneuerung einer europäischen Öffentlichkeit
 
Moritz Hien
Bierdosen fĂĽr die Freiheit
Öffentliches Forum und private Märkte
 
Susann Neuenfeldt / Simon Strick
>DEMOCRACY<
Leonard Cohen – David Bowie – Prince – Phife Dawg



BLASE

 
Volker Gerhardt
Zu nah am Feuer
Das unvergleichlich Neue der digitalen Technik und ihre gerade darin unterschätzte Gefahr. Eine Überlegung in 8 Punkten.
 
Jan-Hinrik Schmidt
Filterblasen und Echokammern
Das GefĂĽge digitaler Kommunikation
 
Boris Fust
Personalisierte Ausspielungen
Alter Wein in neuen digitalen Schläuchen?
 
Joachim von Gottberg
Ă–ffentliche Selbstbindungen
Das Prinzip der medialen Selbstkontrolle
 
Theresa Züger
Die Wahrheit und ihre neuen Kleider
Whistleblowing als Ausdruck gesellschaftlicher Wahrheitssuche
 
Arnd Pollmann
Ist es links? >Postfaktizität<
Authentischer Bullshit
 
Thomas Hoffmann
Ist es links? >Postfaktizität<
We’re all living in America
 
Christian Neuhäuser
Ist es links? >Postfaktizität<
Gefährliche Post-Phänomene
 
Sarah Tietz
Ist es links? >Postfaktizität<
Alles sinnlos
 
Christian Neuner-Duttenhofer
Haters gonna hate
Was tun gegen den Hass im Netz?
 
Jennifer Vogelsang
Versammlungsfreiheit 2.0
Vom Schutz der Zusammenkünfte im virtuellen Raum



MEIN HALBES JAHR

 
Johannes von Weizsäcker
Mein halbes Jahr: >Musik<
Jackie Lynn – The Fall
 
Elias Kreuzmair
Mein halbes Jahr: >Literatur<
Selbst – Die Toten – Die Literatur und das Recht auf den Tod
 
Peter Siller
Mein halbes Jahr: >Comic<
Deadly Class – Die Favoritin – Drei Steine – Ein diabolischer Sommer u.a.
 
Matthias Dell
Mein halbes Jahr: >Film<
Tatort: Freitod, Land in dieser Zeit – Vier gegen die Bank – Arrival



BARRIERE

 
Ludger Schwarte
Irgendjemand entscheidet
FĂĽr eine neue Theorie demokratischer Ă–ffentlichkeit
 
Maximilian Burk
Schreiben zum Tode
Authentizität und Text in Herrndorfs ''Arbeit und Struktur''
 
Verena Hepperle
Das wiederum.
Zum Selbstverständnis politisch engagierter Gegenwartsliterat/innen
 
Fiona GeuĂź
End Your Silence
Öffentlichkeitsverständnisse in der Kunst nach 1968
 
 

Ina Kerner

Leben im Kapitalismus: >offline/online<


In den ersten Semestern des Magisterstudiums diskutierten meine Freundinnen und ich, ob man sich einen Computer zulegen sollte. K. war aus ästhetischen Gründen dagegen – sie war auch gegen Rucksäcke und schleppte auf Reisen schwere alte Lederkoffer durch die Gegend. K. hatte dann bald eine elektrische Schreibmaschine mit Speicher, die ein paar Manuskriptseiten vorhalten konnte. S., die zwei Dekaden später mal leicht bestürzt, doch letztlich beiläufig erzählte, dass ihre vierjährige Tochter grade das mütterliche Tablet-Passwort geknackt hatte, war unentschieden. Ich selbst kam über drei Ecken günstig zum abgelegten Rechner eines Informatik-Studenten, der fortan die Hälfte meines großen Schreibtisches einnahm, der zugleich noch Arbeitsplatte, Esstisch, Bügelbrett etc. war. Der Rechner entsprach weder K.s noch meinen eigenen ästhetischen Ansprüchen, aber er war praktisch. Obwohl ich zum Drucken zehn Fahrradminuten zu C. fahren musste – C., die vor dem Studium schon einen Beruf gelernt hatte und sich als eine der wenigen unter uns einen Drucker leisten konnte; und die einen großen Bruder hatte, der noch wenige Jahre vorher auf einer »Anti-Computer-Demo« gewesen war, organisiert von der autonomen Szene unserer kleinen westdeutschen Uni-Stadt.

Wenn ich nachts ein Thesenpapier für ein Referat am Folgetag tippen musste, nahm ich wegen der aufwändigen Drucksituation die Reiseschreibmaschine aus den frühen 1930er Jahren, die mir meine Großeltern vererbt hatten, nachdem sie sich eine elektrische gekauft hatten. Die Reiseschreibmaschine sah sehr elegant aus – K. hat sie gefallen – und ergab trotz ihres schon betagten Farbbandes ein schönes Schriftbild in Courier. Nur etwas laut war sie, und zu schwergängig für das Zehnfingersystem. Wegen des Lärms hatte ich manchmal etwas Streit mit der schon 30-jährigen Frau, die das Zimmer gegenüber meinem bewohnte und mit der ich das Klo, einen Kühlschrank und ein Telefon teilte, die sich allesamt im Treppenhaus befanden. Gleichzeitig telefonieren ging nicht, was ebenfalls zu manchem Konflikt führte; die verbrauchten Telefoneinheiten entnahmen wir unserem Zähler, schrieben sie in ein Buch und rechneten sie am Monatsende ab. Mit meinen Freund_innen in Amerika telefonierte ich aus Kostengründen nie – denen schickte ich Briefe, die ich abends an meinem Tisch, neben dem Computer, schrieb. Anrufbeantworter fand ich wichtigtuerisch – als ob man ständig erreichbar sein müsse.

Ein paar Semester später zog ich nach Berlin und lernte dort jemanden kennen, der ein Handy hatte. Es war bei einem Picknick im Park, der Typ mit dem Handy trug eine Latzhose und sah gar nicht so aus wie jemand, dem man Mitte der 90er Jahre zutraute, ein Handy zu haben. Er wurde ein bisschen ausgelacht für sein Handy bei diesem Picknick. Kurz vorher war er von Süddeutschland nach Ostberlin gezogen, und weil es dort kaum Festnetzleitungen gab, hatte er sich halt ein Handy zugelegt. Andere hatten eine Papierrolle an der Wohnungstür mit einem Stift, damit man Nachrichten hinterlassen konnte, wenn man vorbei kam und vor verschlossener Tür stand. Zum Verabreden mit Leuten in Ostberlin haben wir damals aber auch Postkarten geschrieben. Frankierte Blankopostkarten konnte man in jedem Postamt kaufen, und die meisten hatten einen kleinen Stapel davon zu Hause. Man brauchte sie ständig, um Infomaterial anzufordern. 

Drei oder vier Jahre später hatten die meisten von uns statt einem Blankopostkartenstapel eine email-Adresse; Organisationen fingen an, ihr Informationsmaterial im Netz zu veröffentlichen. Ich selbst besaß einen Anrufbeantworter und irgendwann auch ein Smartphone.
In den letzten Semestern ihres Bachelorstudiums schreiben Studierende der Sozialwissenschaften heute Arbeiten über digitale Öffentlichkeiten. Sozialen Medien wird dabei fast schon natürlicherweise ein prominenter Platz im Alltag und eine wichtige Rolle für die Identitätsbildung und die Geschlechterpolitik unterstellt. Prominentes Beispiel für diese umfassende Bedeutung ist die allererste Zeile in Laurie Pennys neo-feministischem Bestseller Unspeakable Things. Die Kurzbiographie der Autorin, nachzulesen auf der Seite gleich nach dem Cover, beginnt: »Laurie Penny was born in London in 1986 and grew up on the Internet«. 

Ein paar Freundinnen und ich, allesamt offline aufgewachsen, diskutieren immer noch, ob man sich einen Facebook-Account zulegen sollte. Die Zögerlichen unter uns sind aus Datenschutzgründen dagegen. Praktisch wäre so ein Account allerdings schon



 
Martin Saar
Leben im Kapitalismus: >Ă–ffentliches Sprechen<



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