





polar #22: Zukunft der Öffentlichkeit
EDITORIAL
BEGEGNUNG
BLASE
Volker GerhardtZu nah am FeuerDas unvergleichlich Neue der digitalen Technik und ihre gerade darin unterschätzte Gefahr. Eine Ăśberlegung in 8 Punkten. | 1. Von Michel de Montaigne stammt die vielen vermutlich wie ein perfider Amoralismus erscheinende Bemerkung, dass sich nur das wirklich missbrauchen lasse, was zu etwas gut ist. Schon der Begriff des Missbrauchs zeigt an, dass es um eine Verwendung geht, die ihrem ursprünglichen Zweck entfremdet wird. Die Wahrheit dieser uns nur dann ermutigenden Einsicht, wenn wir die Freiheit erkennen, die uns darin eröffnet wird, liegt auf der Hand: Wer weder gehen noch sehen, weder sprechen noch denken, weder lieben noch verabscheuen kann, dem dürfte keines jener Übel anzulasten sein, die der Mensch unablässig verübt. Technisch gesehen, liegen Gut und Böse so nahe beieinander, dass Moral und Recht bereits größte Aufmerksamkeit darauf verwenden müssen, sie wenigstens situativ auseinanderzuhalten. Gift - in kleinen Mengen - kann Krankheiten heilen; in einer nur wenig erhöhten Dosis führt es zum Tod. Die großen Erfindungen, auf denen die Kultur des Menschen beruht, setzen dieses Ineinander von Gut und Böse nicht außer Kraft. Sie erklären vielmehr wie von selbst die Rede vom »Fluch«, der auf der Menschheit lastet. Von diesem Fluch ist schon in der Schöpfungsgesichte die Rede, die den »Sündenfall« in einer jeden um Wissen und Einsicht bemühten Menschen erschütternden Weise ausgerechnet in der Erkenntnis sieht.
2. Die Erfindung, die ihren Doppelcharakter bereits an sich selbst sowohl empfinden wie erkennen lässt, ist der Gebrauch des Feuers. Von ihm ist in der griechischen Variante des Mythos von der Menschwerdung die Rede. Sie entlastet den Menschen von der Schuld der Erkenntnis, weil hier ein Gott, Prometheus, das Feuer aus den vulkanischen Tiefen der Erde entwendet und dem von Natur aus schutzlosen Menschen zur Kompensation seiner körperlichen Mängel überlässt. Die Pointe ist hier jedoch, dass der Mensch durch die ihm überbrachte Gabe moralisch überfordert ist. Mit dem Gebrauch des Feuers gefährdet er sich selbst und damit auch den Bestand der Welt. Deshalb werden ihm durch ein weiteres, nunmehr vom Vater der Götter kommendes Geschenk die Scham und das Recht gewährt. Sie sollen ihm die Chance zu einem auch für die Welt günstigen Schutz aus eigener Einsicht eröffnen. Der erste Akt der im griechischen Mythos hervorgehobenen Sonderstellung des Menschen wird inzwischen durch Paläontologen, wie etwa Friedemann Schrenk, glaubhaft gemacht. Sie weisen nach, dass sich die Evolution des Menschen durch die Überwindung seiner Furcht und die dadurch ermöglichte Indienstnahme des Feuers wesentlich beschleunigt hat. Der im Mythos beschriebene zweite Akt: die Fähigkeit, Scham zu empfinden und Recht zu sprechen, hat sich hingegen jederzeit, das heißt: in der jeweiligen Gegenwart des Menschen zu beweisen. So jedenfalls wird es von Platon in dessen Deutung des Prometheus-Mythos im Dialog Protagoras gesehen, und so erfahren wir es bis heute - derzeit in einer für jeden offensichtlichen Eindringlichkeit: Durch die selbsterzeugte Dynamik im Einsatz der digitalen Technik stellt sich der Mensch vornehmlich selbst infrage. [...]
|

| Jan-Hinrik Schmidt Filterblasen und Echokammern Das GefĂĽge digitaler Kommunikation
| Boris Fust Personalisierte Ausspielungen Alter Wein in neuen digitalen Schläuchen?
| Joachim von Gottberg Ă–ffentliche Selbstbindungen Das Prinzip der medialen Selbstkontrolle
| Theresa Züger Die Wahrheit und ihre neuen Kleider Whistleblowing als Ausdruck gesellschaftlicher Wahrheitssuche
| Arnd Pollmann Ist es links? >Postfaktizität< Authentischer Bullshit
| Thomas Hoffmann Ist es links? >Postfaktizität< We’re all living in America
| Christian Neuhäuser Ist es links? >Postfaktizität< Gefährliche Post-Phänomene
| Sarah Tietz Ist es links? >Postfaktizität< Alles sinnlos
| Christian Neuner-Duttenhofer Haters gonna hate Was tun gegen den Hass im Netz?
| Jennifer Vogelsang Versammlungsfreiheit 2.0 Vom Schutz der Zusammenkünfte im virtuellen Raum
|
MEIN HALBES JAHR
BARRIERE
SCHÖNHEITEN
Diese Seite steht zur Zeit nicht zur Verfügung. |
|

nach oben

|
|
 |
|