Ist, wer gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums demonstriert, zugleich für eine staatliche Regulierung dieses Raums oder für ein no man’s land? Die Bedeutung der Öffentlichkeit für eine funktionierende Demokratie wird kaum unterschätzt. Und doch leidet das Nachdenken darüber, worin genau die Rolle der Öffentlichkeit besteht, wie auch die Kritik an einem Fehlen von Öffentlichkeit an dem bislang noch völlig unzureichenden Verständnis des Begriffs Öffentlichkeit. Anders als das landläufige Missverständnis nahelegt, ist das Gegenteil von »privat« nicht »öffentlich«, sondern »kommunal« oder »staatlich«. Das Gegenteil von Privatisierung etwa ist nicht Veröffentlichung, sondern Verstaatlichung.
Orte der Versammlung
Unter Öffentlichkeit verstehen die meisten gängigen Theorien eine öffentliche Sphäre, die sich durch Begegnung und Sprache, durch die Publizität kommunikativer Infrastrukturen und die Zugänglichkeit von Ressourcen auszeichnet, oder einen Erscheinungsraum, worin sich etwas zeigt. Hannah Arendt versteht unter »Öffentlichkeit« letztlich die Gesamtheit der Vollbürger, das heißt alle abzählbaren Subjekte einer Polis. Jürgen Habermas verficht eine funktionale Theorie der Öffentlichkeit; für ihn ist die publizistische Öffentlichkeit wesentlich, das heißt alle diejenigen Akteure, die sich kritisch oder affirmativ zum offiziellen politischen Handeln äußern. Diese Feedbackschleife von Mediennutzern gleicht Kants räsonierendem Publikum. Beide, Arendt und Habermas, verstehen unter einer »Öffentlichkeit« eine Versammlung oder medientechnische Verbindung von mündigen Vollbürgern. Beide, Arendt und Habermas, unterstellen eine falsche Etymologie: sie gehen explizit davon aus, dass »Öffentlichkeit« auf »to koinon«, die Gemeinschaft, im Gegensatz zum Privaten, zurückzuführen ist.
Dies ist jedoch ein Irrtum. Der deutsche Begriff Öffentlichkeit rührt vom lateinischen »publicum« und dieses vom griechischen »to theatron« her. Die Öffentlichkeit ist diffuser und umfänglicher als die Gemeinschaft, to koinon. Mit »Theatron« meint das Altgriechische sowohl den Ort der Versammlung wie auch die Menge von Zuschauern. Diese Zuschauermenge umfasste nicht nur Vollbürger, sondern auch Fremde, Frauen, Jugendliche, sogar Sklaven. Weil das Theaterpublikum nicht selten aus diesen Personengruppen gebildet wurde, haben antike Theatergebäude in der Regel mehr Sitzplätze, als die jeweilige Polis an Vollbürgern zählte. Aus diesem Grund kritisiert Platon die Öffentlichkeitsherrschaft im Theater, die »Theatrokratie« als Wiege der Demokratie.
In den »Nomoi« spricht Platon sogar davon, dass es die Demokratie nur deshalb gibt, weil im öffentlichen Raum, im Theater, jeder Beliebige seine Urteilskraft erprobt und entwickelt hat. Das Theater ist der Kreissaal der Demokratie.
Denn hier ließ sich dieses Publikum, zu dem Platon explizit »Frauen, Sklaven, Fremde, Kinder« [Nomoi 700c–701b] rechnet, nicht mehr durch Polizeigewalt zur Ruhe bringen, verlor die Scheu vor dem »Urteil der Besseren.« Zusehends bestimmten hier die Unfreien, Ungebildeten und Fremden mit der Artikulation ihres Geschmacks das, was zur Aufführung kam. Vom Theater rührt »die allgemeine Einbildung, ein Jeder verstehe sich auf Alles, und die allgemeine Verachtung der Gesetze« und diese im Theater ausgebildete Herrschaft der Öffentlichkeit [Theatrokratie] ist in Platons Auge das Skandalon der Demokratie, und nicht die Volksherrschaft, wenn dieses Volk »nur aus (wahrhaft) freien und eines freien Mannes würdig denkenden Männern bestanden hätte« [Nomoi 701a]. So hat aus dem öffentlichen Raum die »gesetzlose Freiheit« ihren Ausgang genommen. [...]