Mit den Neuen Sozialen Bewegungen von 1968 wurde erstmals der Begriff der Öffentlichkeit aus dem bürgerlichen Kunstumfeld heraus von der Kunst nach außen getragen und im Zuge künstlerischer Praktiken diskutiert und in Frage gestellt. Die gesellschaftliche Stellung von Kunst in der Öffentlichkeit förderte Wechselwirkungen zu zeitgleichen, gesellschaftlichen Formationen von Protest und Veränderung. Dieser Moment der Verschiebung von Öffentlichkeitsverständnissen vollzog sich Ende der 1960er Jahre innerhalb und gegenüber Kunstinstitutionen ausgehend von einzelnen Aktionen in direkten Auseinandersetzungen mit spezifischen Kunstinstitutionen und führte schließlich zu einer Kunstpraxis, deren Öffentlichkeitsverständnis auf gemeinschaftlichem Handeln und dem gemeinsamen Gespräch beruht.
Die Politisierung der Avantgarde
Die Entwicklung von politischem Protest in der Kunst hin zu einer gegen die Konsumkultur gerichteten Kunstform in den 1960er Jahren wird bereits zwischen 1971 und 1974 in »Art in America« in der vierteiligen Serie »The Politicalization of the Avant-Garde« beschrieben. Die Autorin Therese Schwartz beginnt ihre Reflexion mit dem 1965 in der New York Times abgedruckten Aufruf »End Your Silence«, den das »Artists Protest Committee« in Los Angeles gegen den Vietnamkrieg initiiert und unterschrieben von etwa 200 Künstlern, Musikern und Autoren in Form einer Anzeige veröffentlicht hatte. Ausgehend von dieser Intervention in die öffentliche Meinungsbildung durch Künstler geht Schwartz über zu Künstlern, die ihre Kunstwerke für politische Proteste nutzten. So etwa der 1966 in Los Angeles ebenfalls vom »Artist Protest Committee« errichtete »The California Peace Tower«. Die Gruppe hatte Brachland angemietet und darauf eine Holzkonstruktion errichtet, die sie nach und nach mit eingesandten oder vorbei gebrachten Gemälden bestückte. Wichtiger als diese Prozedur waren die sich Abend für Abend um den Turm versammelnden Menschen, die gegen den Krieg protestierten, Musik machten oder Petitionen unterzeichneten. Diese Aktionen führten für Schwartz zu einer Gemeinschaft, die sich ausgehend vom Protest gegen den Vietnamkrieg ein Jahr später in der »Angry Arts Week« zeigte, die 1967 mit Happenings unter anderem von Allen Kaprow in New York stattfand.
1968 vereinten sich im Zuge der Mai-Studentenproteste in Paris Künstler in Kassel, Mailand, Brüssel oder Venedig mit einer Reihe von Forderungen an Kunstinstitutionen, Kunsthochschulen und internationale Großausstellungen mit dem Ziel, deren Strukturen zu Demokratisieren. Am 29. Mai etwa besetzte eine Gruppe von Künstlern für zwei Wochen das Palais des Beaux-Arts in Brüssel und forderte Mitbestimmung bei der Ausstellungsorganisation und Präsentation ihrer Kunstwerke. Mit ähnlichen Forderungen besetzten vom 31. Mai bis zum 7. Juni teilnehmende Künstler der Triennale in Mailand das dortige Museum. Und seit Anfang Mai war es bereits zu Protesten gegen die Venedig Biennale gekommen, die am 22. Juni kurz nach der Eröffnung vorzeitig schließen musste, da sich Künstler weigerten, ihre Werke zu zeigen. Diese wenigen kurz skizzierten Beispiele markieren das zunehmende soziale und politische Engagement von Künstlern seit Mitte der 1960er Jahre. Am Ende dieses Jahrzehnts waren nicht mehr nur die Kunstwerke die Träger des Protests, wie etwa noch beim »Peace Tower«, als vielmehr verstärkt die Künstler selbst, die die Öffentlichkeit suchten. Zudem war der Kunstkontext selbst in den Fokus der Auseinandersetzung geraten – anders als noch bei rein gesellschaftspolitischen Aufrufen wie »End your Silence«. [...]