Was Öffentlichkeit ist und was sie politisch leisten kann, hat sich in den letzten Jahren radikal geändert. Dies zumindest ist die These, die Albert Ogien und Sandra Laugier in ihrem Buch Das Prinzip Demokratie (La Découverte, 2014) vertreten, das im Herbst 2017 bei Konstanz University Press in deutscher Sprache erscheinen wird. Zwei Formen politischer Einflussnahme stehen im Zentrum ihrer Studie: Platzbesetzungen und Versammlungen. Beide Strategien, die auf die Wiederaneignung oder Neuerfindung des öffentlichen Raums durch die schlichte, physische Präsenz einer Öffentlichkeit zielen, die häufig gern als rein statistische, anonyme Größe abgehandelt wird, sind gewiss nicht neu. Und doch haben sie heute eine andere Tragweite. Sie bezeichnen Weisen der politischen Einflussnahme einer politisierten, solidarischen Öffentlichkeit, die global, vernetzt und spontan agiert und Politik zur Lebensform erklärt. Tunis, Kairo, Madrid, Athen, New York, London, Moskau, Paris, Istanbul, Rio de Janeiro, Kiew, Bangkok – Städtenamen, die die Welle des Protests bezeichnen, die nach und nach die ganze Welt erfasst hat, ungeachtet der jeweiligen politischen Systeme, sozialen Strukturen und historischen Kontexte.
Das Lauffeuer der Protestbewegungen in der arabischen Welt, OccupyWall Street und Cyberaktivismus strafen die Diagnose einer konsumsatten, politikverdrossenen Gesellschaft Lügen. Auf der Puerta del Sol oder dem Taksim-Platz formierte sich ein vielgestaltiger, heterogener, in seinen Forderungenjedoch einstimmiger Widerstand, der sich quer durch die sozialen Schichten und alle Altersstufen zieht. Es gehe diesen Bewegungen darum, »öffentlich eine Frage zu stellen, auf die es keine endgültige Antwort gibt, aber die sich eine Gesellschaft notwendigerweise in bestimmten Momenten gemeinschaftlich erneut vorlegen muss: Was ist Demokratie? Und: Leben wir wirklich in einer Demokratie?« Dies zumindest ist die optimistische Sicht der Autoren auf die Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit. Ob ihre These auch heute noch, nur zwei Jahre und doch, so scheint es, eine halbe Ewigkeit nach dem Erscheinen ihres Buchs, in der post-faktischen Gesellschaft noch Bestand haben kann?