Die Schriftsteller, Intellektuellen und Künstler lieben das Risiko, sie lieben es vor allem, davon lauthals zu sprechen. Unmöglich sie darin zu unterbrechen, sie sind unermüdlich, das Risiko erregt sie. Mit Rimbaud, jedoch ohne dass man es ihnen auf Grund ihres noch jungen Alters nachsehen könnte, sind sie bereit zu verkünden: »Ich habe mich an der Luft des Verbrechens getrocknet.«
Man erinnert sich sogleich an einen, der, in wolldicken Kniestrümpfen, von seiner liebevollen Frau gestrickt, im Halbdunkel der Hütte in Todtnauberg mit bebender Stimme Hölderlin zitierte: »Wo aber die Gefahr ist, wächst das Rettende auch« – bekanntermaßen nahm es mit ihm eine unglückliche Wendung, der in einem letzten Spiegel-Interview nur noch auf einen Gott hoffen konnte.
Das ganze Problem besteht gerade in der Weise, in der diese bewundernswerten Verse, die im Allgemeinen dem berühmten Heraklitfragment über den Konflikt als Vater aller Dinge nach- oder vorangestellt werden, durch zu häufiges Zitieren verdorben sind. Das Geprahle vom Risiko und dem gefahrvollen Leben mutet aus dem zurückgezogenen Umfeld der Bibliotheken immer auch etwas merkwürdig an.
Ein wenig bescheidener erinnert uns Hegel daran, dass die Eule der Minerva erst in der einbrechenden Dämmerung ihren Flug beginnt. Das Denken, die Literatur schwingt sich nur in einem après coup auf und erlangt nur Bedeutung, wenn sie sich dieser Verzögerung, dieses Abstands bewusst ist. In seinem bewundernswerten Essay Jusqu’à Faulkner zeigt Bergounioux, dass um die Jahrhundertwende die großen Revolutionäre der Literatur, Joyce, Proust, Kafka, allesamt Staatsbürger dreier Großmächte, im Augenblick vor dem europäischen Suizid 1914, völlig erschöpft waren, ungeheuer empfindsam, gebildet … und krank. Sie »vollbringen in reinster Weise eine formale – Joyce, Proust – oder formal unvollendete – Kafka – Erschöpfung des erzählerischen Prinzips«. Ihr Zimmer verlassen sie nur selten.
Und dann kommt Faulkner, der aus nächster Nähe mit der prosaischen Realität seines verlassenen Kaffs (Oxford, Mississippi) aneinander gerät und alles beginnt erneut. Der Amerikaner setzt dort ein, wo Stendhal geendet hatte, nämlich in einer Szene, die in Frankreich so berühmt ist, dass sie sprichwörtlich geworden ist: Fabrice in Waterloo. Was sieht der Held der Kartause in Parma an jenem historischen Tag, an dem der Kaiser stürzt? Nichts, oder fast nichts. Das Getöse, den Rauch, die Kavallerie am Horizont. Was Stendhal uns zum ersten Mal zeigt, das ist unsere Unkenntnis der Ereignisse im Augenblick ihres Statthabens, die Undurchsichtigkeit der Welt, ihre Verwirrung, solang sie nicht wieder aufgenommen und, im Nachhinein, neu interpretiert wird. Was wir buchstäblich mit dem Namen Waterloo verbinden existiert nicht für die zigtausend armen Teufel, die sich dort mit ihren Gewehren durchlöcherten. [...]
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