





polar #11: Sicherheit
EDITORIAL
SORGE
STRESS
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Thomas BiebricherRevolte und EinmischungEin Erfahrungsbericht aus Bengasi | Bis zu Augustinus, dem spätantiken Kirchenvater und Bischof von Hippo, das nebenbei bemerkt im heutigen Algerien liegt, reicht die Vorstellung zurück, dass es die Aufgabe weltlicher Herrschaft sei, den Frieden zu sichern und die Bevölkerung zu schützen. Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 oblag dann vor allem den entstehenden Nationalstaaten diese Aufgabe, als deren Kehrseite sich die Vorstellung von staatlicher Souveränität als Norm gegenseitiger Nichteinmischung in innere Angelegenheiten etablierte. Auf die naheliegende Frage, was zu tun sei, falls der Staat die Sicherheit der Bevölkerung nicht mehr garantieren könne oder gar selbst zur Gefahr für diese werde, gab schon John Locke nur einige Jahrzehnte später in seiner Zweiten Abhandlung über die Regierung die nicht sonderlich britisch-reservierte Antwort: Revolution!
So haben es auch Libyer wie der junge Mann gesehen, mit dem wir von der ägyptischen Grenze auf der Küstenstraße in Richtung Bengasi fahren: Zwei Jahre hat er wegen Gaddafi im Gefängnis verbracht und unterstützt nun den Aufstand gegen ein Regime, das sich schon vor langer Zeit als ein massiver Faktor der Unsicherheit für Teile der eigenen Bevölkerung entpuppt hat. So weit, so gut, könnte man meinen, die Libyer kennen ihren John Locke. Doch entgegen der Einschätzung des Engländers, der auch notierte, dass kaum mit einer Revolutionswelle zu rechnen sei, da vernünftige Menschen sich doch keinesfalls erheben würden, wenn nicht auch realistische Aussichten auf Erfolg bestünden, haben die Libyer – genau wie die Kurden 1991 im Irak und so viele andere staatlichen Repressalien ausgesetzte Gruppen – genau dies getan. Zwar ist dies keine »Revolte mit nackten Händen«, wie Michel Foucault seinerzeit die Iranische Revolution bezeichnete, aber es ist doch auch kaum mehr als eine Revolte mit rostigen Maschinengewehren, die auf Pick-Up Trucks geschnallt sind, und folgerichtig steht das weit überlegene Militär Gaddafis Anfang März nur zwei Wochen nach Beginn des Aufstands schon in den Vorstädten der Rebellenhochburg Bengasi. Und damit ist man an der Crux staatlicher Souveränität als Norm der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten angelangt, denn die Liste der angekündigten Massaker an der eigenen Bevölkerung von Ruanda bis Darfur ist lang und die Reaktion der Weltgemeinschaft in Form von UNO-Sicherheitsratsresolutionen immer wieder die gleiche: Aufforderung zur Mäßigung, Sanktionen, Embargos, aber keine Intervention – mit der Folge, dass das Angekündigte meistens auch stattfindet. Doch diesmal scheint alles anders zu sein. Nach intensiven diplomatischen Bemühungen im Vorfeld von Seiten Frankreichs und Großbritanniens verabschiedet Mitte März der Sicherheitsrat wider Erwarten ohne Veto – und ebenfalls wider Erwarten ohne deutsche Zustimmung – Resolution 1973, die ein Mandat zur Errichtung einer Flugverbotszone enthält und auch alle sonstigen Maßnahmen legitimiert, die zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung notwendig sind. Kurz darauf beginnt die französische Luftwaffe, das Militär Gaddafis vor Bengasi zu bombardieren und die Armee muss bis hinter Ras Lanuf viele hundert Kilometer entfernt zurückweichen. Zum Zeitpunkt unserer Ankunft garantiert die NATO schon seit zwei Wochen de facto die Sicherheit der Zivilbevölkerung zumindest in Bengasi und den östlichen Landesteilen und hat so den Präzedenzfall einer äußerst weitreichenden Interpretation des 2005 zur UN-Doktrin erhobenen Prinzips der ›Schutzverantwortung‹ geschaffen, die nun scheinbar im Zweifelsfall auch die militärische Intervention in souveränen Staaten legitimieren soll. [...]
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