Manchmal ist man auf Menschen neidisch, denen eine Erfahrung noch bevor steht, die man selbst schon gemacht hat. Der »erste Blick« etwa, oder das »erste Lesen«. Mir geht das so mit den seltsam-schönen Filmen von Hayao Miyazaki, die in Deutschland seit 2005 endlich auf DVD veröffentlicht werden und inzwischen fast vollständig erhältlich sind. Jeder Film war mir ein Fest, ein Trip in eine fremde, auch befremdliche Welt voll von eigenartigen Wesen und skurrilen Gegenständen, komischen Geschichten, spannenden Abenteuern und dunklen Mythen. All die schrulligen Gestalten und eigentümlichen Figuren sind nicht nur getragen durch eine große Liebe zum Detail, sondern vor allem durch dies: die Liebe zum Leben und seinen Metamorphosen. Jeder Film ist zugleich eine Überraschung, ein Neuanfang und die Frucht jahrelanger Vorbereitung und Ausarbeitung. Miyazakis Filme sind nicht zuletzt Arbeit, Handarbeit. Während inzwischen nahezu alle Anime-Produktionen am Computer entstehen, verwenden die ca. 90 Mitarbeiter des - 1985 von Miyazaki und Isao Takahata gegründeten - Studio Ghibli weiterhin hauptsächlich klassische Animationstechniken wie etwa das Abfotografieren handgezeichneter Folien. Und ohne irgendeinem Authentizitäts-Fehlschluss zu erliegen: Keine Computer-Animation ist überwältigender als diese Streifen.
Bei allen Unbekannten gibt es doch einige Bekannte, die sich über die Jahrzehnte durch Miyazakis Schaffen ziehen. Helden gibt es bei Miyazaki selten, Heldinnen umso mehr. Neben der Verarbeitung japanischer Geschichte und Mythologie finden sich immer wieder Referenzen an europäische Architektur, Landschaft und Mode. Kein Film ohne die große Passion des Kindes eines Tokioter Flugzeugunternehmers: das Fliegen. Und nicht verwirrt sein, wenn Ihnen in den Filmen plötzlich der Ziegenpeter erscheint. Miyazaki begann seine Karriere Mitte der siebziger Jahre bei Studio Toei als Zeichner allseits bekannter Zeichentrickserien wie Heidi oder Marco.
Das Schloss des Cagliostro (1979); Nausicaä aus dem Tal der Winde (1984); Das Schloss im Himmel (1986); Mein Nachbar Totoro (1988); Kikis kleiner Lieferservice (1989); Porco Rosso (1992); Prinzessin Mononoke (1997); Chihiros Reise ins Zauberland (2001); Das wandelnde Schloss (2004).