Wenn die soziologische These von der zunehmenden Überlagerung von Arbeit und Freizeit richtig ist, hat dies weitreichende Konsequenzen auch für Orte und Situationen im öffentlichen Raum. Denn die meisten Plätze sind traditionellerweise entweder als Arbeits- oder als Freizeitplätze markiert. Die Entkopplung der Arbeitstätigkeiten von festen Orten schafft dagegen Mehrdeutigkeiten, die auch symbolisch zu bewältigen sind. Das aktuelle Zeichensystem der Deutschen Bahn kennt die Bereichszuweisungen »Handybereich« und »Ruhezone«, und seine Bildsprache knüpft diese Zuschreibung an ein Bild vom Ton, der dort jeweils herrscht. Als Symbolisierung der ersten strahlt ein stilisiertes Mobiltelefon selbsttätig Signale ab; als Bild der zweiten dient eine stilisierte humanoide Figur im Profil, deren Geste mit Zeigefinger an den nicht sichtbaren Lippen für eine unmissverständliche Aufforderung zur Stille steht.
Zwei Lesarten dieser Grenzziehung bieten sich an. Zum einen könnte hier eine Unterscheidung in ruhigen Arbeitsbereich und lärmende Privatzone getroffen sein. Zum anderen könnte hier aber auch eine stille Zone der Muße vom nervösen Betriebslärm der geschäftlichen Kommunikation geschieden sein. Die Differenz liegt in der Auffassung dessen, was hier geschützt werden soll: die wertvolle Arbeitsfähigkeit des Einzelnen vor der Freizeit seiner Nachbarn oder die unbehelligte individuelle Privatsphäre vor der Arbeit der Anderen.
Dieser Ununterscheidbarkeit entsprechend könnte in beiden Abteilen jeder potentiell »im Dienst« sein. In beiden könnte aber auch der Ablenkung und dem Nichtstun unter dem Deckmantel von Geschäftigkeit oder von Konzentration gefrönt werden. Gewissheit darüber, was hier jeweils »eigentlich« geschieht, ist von den Hinweistafeln nicht zu erlangen. Die Steuerungskraft der Zeichen beruht allein auf der Selbststeuerungsfähigkeit der Individuen, am richtigen Ort jeweils von selbst das Richtige zu tun und sich an den richtigen Platz zu setzen. Das Telefon klingelt drängend, und der erhobene Zeigefinger droht: Die Arbeit an sich hört nie auf.