Radiohead - Madonna - Arctic Monkeys - Kate Nash - Battles - Blood On The Wall - Dirty Projectors Am 10. Oktober 2007 brachten gleich zwei Nachrichten die Musikwelt noch ein wenig weiter durcheinander. Zum einen verkündeten Radiohead, die Schmacht-Frickler aus Oxford, dass ihr neues Album »In Rainbows« nunmehr über das Internet zu haben sei - und zwar zu einem Preis, den jede Userin selbst bestimmen konnte. Zum anderen trat wieder einmal Madonna, die Godmother Of Pop, ins Rampenlicht, indem durchsickerte, dass sie nach Ablauf ihres Vertrages mit Warner Records einen 100-Millionen-Dollar-Vertrag mit dem kalifornischen Konzertgiganten Live Nation abschließen wolle. Der Deal umfasst neben Madonnas Konzerttätigkeit auch ihre gesamte zukünftige Musikproduktion, das Merchandising aller Fanartikel und die Nutzung der Marke Madonna. Mit anderen Worten: Madonna hat den Total-Vertrag abgeschlossen. Live Nation kann getrost darauf bauen, dass Madonna auch mit 55 Jahren noch wirklich aufreizend aussieht, wenn sie mit einem Ghettoblaster poppt, und damit die Verkaufzahlen in die Höhe treibt.
Beide Episoden haben miteinander zu tun, weil dadurch auch besonders bekannte Musikerinnen die neue Entwicklung vorzeigen: Raus aus der Platte, rein ins Netz bzw. rauf auf die Bühne. Dahinsiechende Plattenlabels großen Zuschnitts merken, dass Plattenverträge keineswegs nur auf Platten beschränkt sein müssen. Sie können ebenso Anteile an Live-Einnahmen und Merchandising umfassen, was für junge Bands, die finanziell nicht ganz so unabhängig sind wie Madonna oder Radiohead, zu einem Problem wird. Und ja, auch Radiohead befeuern diese Entwicklung tragischerweise durch ihren revolutionären Akt des freien Albumrelease. Denn in den Zeiten, in denen die Plattenverkäufe wegen des Internet nichts mehr einbringen, müssen die Labels sich etwas einfallen lassen, wie sie an Geld kommen, und demnach jungen Bands »neue Dienstleistungen« anbieten. Darunter sind dann eben Hilfestellungen bei Tour-Organisation oder Soundtrack-Belieferung zu verstehen, gegen entsprechende Anteile an den Einnahmen natürlich. Die gefühlte Freiheit durch kostenlose Downloads und Produktschaufenster wie MySpace oder YouTube könnte die Erzeuger von Musik ironischerweise abhängiger machen als je zuvor.
Ist deswegen nun alles schlimm im Staate Pop? Nein, denn die neue Radiohead-Platte ist wirklich sehr schön und Madonna auf der Bühne ein Erlebnis. Außerdem sind viele der jetzt durch die MP3-Player geisternden Musiker zunächst einmal dank des Netzes überhaupt bekannt geworden - jedenfalls in der Geschwindigkeit. Schöne Beispiele sind immer diese blutjungen Menschen wie die Arctic Monkeys oder Kate Nash, die hinreißende Musik machen und schon beim ersten Live-Auftritt über eine panische Fan-Basis verfügen. Vor allem erleichtert freie Musik aus dem Netz eine Entscheidung, die für den Erfolg junger Bands relativ entscheidend ist: Gehen wir zum Konzert oder nicht?
Ohne diese Hilfe hätten wir etwa Battles verpasst, diese Band, die aus einigen Helden unserer Hardcore-Jugend zusammengesetzt ist und die Apotheose der Schichtung, bekannt eigentlich am ehesten aus dem Elektronika-Bereich, auf die Spitze der analogen Instrumente treibt. Oder wir hätten Blood On The Wall nicht gesehen, dieses fantastische 3-Piece-Set aus New York, das ein so wunderbar ehrliches Brett spielte, dass man auch am nächsten Morgen sich noch über das glückliche Fiepen im Ohr freute. Und ebenso hätten wir wohl auch das Konzert der Dirty Projectors verschlafen, ebenfalls aus Brooklyn, aber im Gegensatz zu Blood On The Wall filigran, rauchempfindlich und eine herrliche Kombination von Matatu-Gitarren und gegenläufigen Chören. Kurzum: Mit auch nur wenig Netz-Know-How haben Bands die wunderbare Gelegenheit, sich selbst zu fördern. Das reduziert nicht die Arbeit, aber es besteht immerhin die Möglichkeit, durch das Netz die Abhängigkeit von großen Labels mit Total-Verträgen ein wenig hinauszuzögern.