Arbeit bietet nicht nur Verdienst und die Möglichkeit, Kompetenzen sinnvoll einzubringen . Sie verschafft auch Anschluss . Allerdings liefern das auch andere Sozialzusammenhänge . Das Verhältnis zwischen Broterwerb und gesellschaftlicher Eingebundenheit, der Kontakt zu Kollegen und Gleichgesinnten, das Dabei-Sein in Szene und Milieu geraten aus ganz verschiedenen Perspektiven in den Blick.Die Isolation ist die größte Angst. Sie schreckt aus der einfachen lebensweltlichen sowie aus vielen ideologischen Perspektiven. Angst vor der Arbeitslosigkeit verbindet sich bewusst oder unbewusst mit Vereinzelungsfurcht. Sie kulminiert derzeit im Bild des arbeitslos biertrinkenden Videoguckers, das den Zusammenhang von Arbeit und sozialer Integration negativ-ikonisch verankert. Mit-Anderen-Sein heißt mitspielen, eine Rolle haben, anerkannt werden und all das geschieht in der Arbeitswelt. Die Anklage der »Ausbeutung« der Arbeitskraft Anderer zur Produktion eigenen Reichtums tritt in den Hintergrund, denn wer nicht ausgebeutet wird, ist nicht dabei, eine wesentlich schlimmere Form sozialer Bedrohung, kristallisiert in der Metaphorik des »Drinnen« und »Draußen«, der »Exklusion« aus dem Betrieb, dem Arbeitsmarkt und damit aus der Gesellschaft. So heißt es vor allem in publizistischer Soziologie und politischer Programmatik. Das »Draußen«, das dem »Aussteiger« noch vor drei Jahrzehnten als praktizierbare Utopie der Flucht aus (kon-) formierter Gesellschaft erschien, kommt kaum mehr vor. Dabei-Sein ist Alles und Arbeit heißt Dabei-Sein.
Auf der anderen Seite rauscht der Diskurs der »Netzwerke«, der »immateriellen« Ökonomie, des flexiblen und prekären Freiberuflertums in der urbanen Kultur- und Projektwirtschaft. Auch hier geht es um den Zusammenhang zwischen Kontakt und Arbeit. Die Verflechtung von Bekanntschafts-, Freundschafts-, Kultur- und Szenemilieus mit kommerzieller Verwertung und Erwerbskalkül wird beschrieben. Von Sennett über Gorz, Negri/Lazzarato und Boltanski/Chiapello zieht sich die Debatte bis hinzu jüngeren Berliner Beiträgen wie denen von Goehler oder Friebe / Lobo. Die Bewertung des Phänomens ist dabei unterschiedlich. Im Blick der Kritiker wird ein funktionierender sozialer Kosmos durch Kontamination mit Ökonomie und Transformation in Arbeit eher gefährdet. Von Optimisten wird die kleinkapitalistische Nischenökonomie urbaner Agenturen, Kulturbetriebe, Freiberufler und Selbstvermarkter dagegen begrüßt als Humanisierung der Arbeitswelt und Annäherung an die kommunikative Aktivität frei assoziierter Individuen. Arbeit kommt also von zwei seltsam konträren Seiten in den Blick. Einmal in der Kernfunktion der »Arbeitsgesellschaft« als ureigenes Medium sozialer Integration, andererseits als Überformung einer zuerst spontan assoziierten, nicht als Arbeit funktionierenden sozialen Welt. Dazu eine Kurzphänomenologie in vier Blickrichtungen:
Sozialer Sinn in Arbeit
Ein seltsames Geflecht aus intrinsischer und instrumenteller Motivation bindet an einen 9-to-5 Job. Bliebe das Geld am Monatsende aus, ginge man kaum wieder hin. Doch da ist wohl noch mehr. Die Kollegen, das Spiel des Sich-Beweisens, Zyklen des Schaffens mit dramatischen Bögen, die Entwicklung einer Identität, die Selbsteinordnung im Zusammenhang einer sozialen Sinnwelt, der Stolz auf eigene, unverzichtbare Expertise. Drüber Reden, Spotten, Klagen, Fordern. Zur Arbeit zu gehen heißt für die Job- und Büromenschen Teil eines sozialen und temporal- dramatischen Kosmos sein. Weder die pure materielle Notwendigkeit noch ein »falsches Bewusstsein« können die überwältigende Realität dieser sozialen Praxis erklären. Struktur, Strebung und Spiel, räumliche und zeitliche Ausdifferenzierung der Welt geschehen in diesem Sinnzusammenhang der Arbeit.
Ebenso unzweifelhaft ist die allgegenwärtige Entfremdung, die oft ganz unverdrängt geäußerte Unzufriedenheit mit dem faktischen Arbeitsdasein, mit Stupidität, Monotonie, Demütigung, Ziellosigkeit. Selten genug führt sie zum Jobwechsel, zur Kündigung. Denn es herrscht Konkurrenz um knappe Plätze. Der nächste Job könnte noch mieser sein, eventuell gibt es gar keinen mehr. Dann ist es neben der materiellen Notwendigkeit eben auch die Angst vor dem Verlust einer sozialen Sinnwelt, die trotzdem bei der Stange hält, die jahrelang die Gratifikation durch Einbettung schwerer wiegen lässt als die Verlockung des Abschüttelns. Denn soziale Integration, Einbindung in sinnhafte Zusammenhänge scheint Vielen, vor allem Middle-Class-Workaholics, nur in Arbeit möglich.
Sozialer Sinn ohne Arbeit
Derartiges gesellschaftliches Treiben des Mit-und-Gegen-Andere-Seins, der Ziel- und Zwischenziel-Projektionen in einer sozialen Sinnwelt findet allerdings auch jenseits der Arbeit statt. Zunächst ist da die global vernetzte Welt der Vermögenden und ihrer Beschäftigungen. Die Kunstsammler, Stifter, Socialites, Verfolger der Konzertsaison, die Reisenden der Bootsmessen und Art Fairs, die Terminplaner gesellschaftlicher Anlässe und saisonaler Aufenthalte, die Betreuer verschiedener Wohnsitze, Portfoliomanager ihrer Vermögen. Anstrengende, prall sinnstiftende Beschäftigungen voller Eitelkeiten und Ehrgeizanlässe, Kontakte und Verbindungen. Meist eine Prosperitätsstufe darunter tummelt sich der Kultur- und Theorie-JetSet, die Galerienwelt und die Conference-Hopper, manche akademisch professionalisiert, viele aber nur lose angekoppelt an die Besoldungssysteme und gefestigt durch kleinbürgerlich familiären Grund- oder Kapitalbesitz. Nicht arbeitend bestreiten außerdem viele ihr Tageswerk als Schrebergärtner, Modelleisenbahnsammler, Fantasy-Rollenspieler, Online-Gamer, My Space / Facebook / You Tube – Bestücker und Blogger, auskömmlich genug von kleineren Vermögen oder familiären und staatlichen Unterstützern lebend, unterwegs in beziehungsreichen, sozial verstrebten Sinnwelten. Und schließlich die Welt der Party-People, der Clubber und ihrer Szenen. Wenn sie ernst genommen und mit Hingabe gelebt wird, ist dies eine Vollzeitwelt des reichen sozialen Sinns, des Spiels, der Eingebundenheit in Zusammenhänge.
Es ist nicht einmal hilfreich, die Begriffe bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und Familienarbeit zu benutzen, die in den Diskursen über ein Leben jenseits der Erwerbsarbeit vorherrschen und die Realität unnötig verengen. Gorz’ »multiaktive Kulturgesellschaft« oder Englers arbeitsloses Bildungsbürgertum könnten näher sein als man denkt. Aber hier nur die Bestandsaufnahme: Es sind viele Menschen, die ihren sozialen Sinn jenseits der Arbeit gestalten, viel mehr als die, die ohne Arbeit aus der sozialen Welt herausfallen, isoliert in den Fernsehsessel plumpsen, die Bierflasche öffnen und ihre Kinder verhungern lassen. Erwerbsarbeit im engeren Sinne ist längst nicht mehr das exklusive Medium sozialer Teilhabe.
Arbeit ohne soziale Teilhabe
Unendlich viel Arbeit gewährt dagegen nur kümmerlichste Formen von »Teilhabe«. Reifenabspritzer in Waschstraßen, Elektroschrottsortierer, Nachtwächter und viele andere vollziehen isoliert stumpfe, kognitiv und sprachlich anspruchslose Tätigkeiten, deren sozialer Sinn sich in der abstrakten Bestätigung grundsätzlicher, eigener Nützlichkeit und in der knappen Konversation mit Kollegen zu Anfang und Ende der Schicht erschöpft. Die Notwendigkeit und eigene Würde solcher Tätigkeiten soll hier nicht in Abrede gestellt werden, doch ihre Betrachtung schwächt das politische Leitargument, Arbeit stelle soziales Leben und Teilhabe dar. Jobs tun dies in unterschiedlichem Maße, auch geringqualifizierte Tätigkeiten. Buchhaltungshilfe in einer Bildungseinrichtung liefert das eher als Schraubensortieren im Recyclinghof. Man balgt sich heute auch um derartig entfremdete und schlecht bezahlte Jobs und zweifellos spielt der Wunsch nach einer – wenn auch nur dünnen – Teilhabesimulation auch hier eine Rolle.
Axel Honneth benennt in diesem Heft als Minimalbedingung für Teilhabe, dass »von dem einzelnen Arbeitsplatz aus … der kooperative Zusammenhang überblickt werden kann, … in dem die eigene Tätigkeit mit der aller anderen Beschäftigten steht«. Nur ein solches Kriterium sei »immanent« aus den Implikationen der normativen Voraussetzungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems abzuleiten; jede andere Forderung sei »extern« und ein tendenziell utopisches »pures Sollen«. Wenn dem so wäre, könnte die normative Substruktur des Kapitalismus dann aber für sehr Viele nur allerdünnsten sozialen Sinn bereitstellen, denn das Kriterium ist auch für Tütenpacker und Bodenwischer erfüllt. Ob aus utopischer oder aus normativ-immanenter Perspektive, festzustellen und zu kritisieren bleibt die Realität sozialer Isolation in Arbeit. Die Kategorie beschäftigt/arbeitslos verstellt den Blick auf die sozialen Teilhabequalitäten von Tätigkeiten. Ein angestellter Universitätsprofessor und ein ehrenamtlicher Betreiber eines Online-Debattenforums tun weit Ähnlicheres als der Universitätsprofessor und der Nachtwächter im Parkhaus. Die letzten beiden sind angestellt, die erste Paarung unterscheidet sich durch die angeblich so fundamentale Kategorie des Beschäftigungsverhältnisses. Wer hat mehr soziale Teilhabe?
Sozialkontakt als Arbeit
Schließlich gibt es die Art von sozialer Beteiligung, die selbst zur Arbeit geworden ist, wenn Kultur- und Bekanntschaftsnetzwerke zu wirtschaftlichen Ressourcen werden. Das spielt sich vor allem in den viel theoretisierten Milieus «immaterieller« Kultur-, Kreativ- und Kommunikationsarbeit ab. Sozialer Sinn und wirtschaftliches Kalkül können hier ununterscheidbar werden. Leute können Teil von subkulturellen Szenen sein, eine bestimmte Identität pflegen und darstellen – all das wird als soziales und kulturelles Kapital am meist freiberuflichen Arbeits- und Auftragsmarkt eingesetzt. Die Assoziation mit Gleichgesinnten und der Wettkampf um kulturellen Vorsprung wird vom soft-spielerischen Szene-Ritual zum harten Konkurrenzkampf am Markt. Hier kehrt sich das Verhältnis um, denn soziale Teilhabe wird nicht durch Arbeit erreicht, sie ist ihre Voraussetzung. Und die Ankoppelung an wirtschaftliche Verwertung wird für die betreffenden Milieus zum Problem, pflegen sie doch ein Selbstbild spontan assoziierter kultureller Zusammengehörigkeit, das durch ökonomische Kalküle unberührt sein soll. In der oben geschilderten klassischen Perspektive auf die Arbeit als Medium sozialer Integration würde man nie auf die Idee kommen, Lohnorientierung könne dieser Integration im Weg stehen, die am Arbeitsplatz geknüpften Beziehungen dadurch korrumpieren oder entwerten. Doch für das Bohème-Ethos in seiner Reinform wird die Vermarktung zum Problem.
Das Eindringen der Betriebswirtschaft in das Innerste der Subjekte, ihre kulturelle und persönliche Identität, kann man als »Kolonisierung der Lebenswelt« oder als »biopolitische« Aneignung des »ganzen Lebens« durch das System kritisch theoretisieren. Auch wer das als Zuspitzung sieht, kann die beschriebenen Phänomene nicht von der Hand weisen. Leistungsdruck lastet nicht mehr nur auf einer spezifischen beruflichen Fähigkeit sondern auf Konstruktion, Instandhaltung und Performance einer konkurrenzfähigen Identität. Schlecht geht es dem, der die Produktzyklen des immateriellen Marktes nicht schnell oder geschickt genug mit vollzieht. Man kann plötzlich mit der gesamten kulturell-affektiven Charakter- und Geschmacks-Architektur zum sterbenden Industriezweig gehören. Auch die Freundschaft wird in die Verwertung hereingezogen und damit der Geschäftsbeziehung ähnlicher. Die psychischen Kosten einer Niederlage im Konkurrenzkampf können hoch sein, da mit Identität, Lebensstil und affektivem Umfeld nunmehr die gesamte Existenz am Markt eingesetzt wird.
Und der Wettbewerb ist hart, denn auch in der Bohème sind die Plätze knapp und meistens »Positionsgüter«, also durch Vorsprung vor Anderen gekennzeichnet und per definitionem nicht gerecht auf Alle verteilbar. Wie viele Popkritikerpäpste kann es geben, wie viele Open-Source-Visionäre, wie viele originelle Darsteller radikaler Negation? Epigonentum wird kalt verachtet, Nachzügler gelten als unauthentische Deppen. Alexandra Manske macht in diesem Heft auf die »Winner Takes All«-Logik des Kultur- und Glamourmarktes aufmerksam. Die Währung der Prominenz regiert, auch im hyper-marktkritischen linken Milieu.
»Immaterielle« sind aber meist Virtuosen des Dabei-Seins und selten arm an sozialem Sinn. Gelegentlich sind sie einfach arm. Zwar hängt Teilhabe hier nicht unbedingt vom wirtschaftlichen Erfolg ab – auch der bloße »Fan« ist akzeptiert – aber da gab es noch dieses andere Motiv der Erwerbs-Arbeit. Die antikommerzielle Reinheitslogik der Szene, ausgedrückt in wiederkehrenden Vereinnahmungs- und Ausverkaufsvorwürfen, ist daher heute gemildert zugunsten des Modells einer strategisch behutsam vermarkteten Nischenökonomie. Wirtschaftliche Verwertung ermöglicht es eben mehr Leuten, den sozialen Sinn der Subkulturen voll auszuleben. Als Part-Time-Punk im 40-Stunden-Job mit weniger attraktiver Sozialdimension lässt auch schnell die kulturelle Leistung nach.
Die privilegierten Phantomschmerzen der »Kontrolle« eines prosperierenden »ganzen Lebens« durch den Lifestylemarkt verschwinden beim Blick auf die oben beschriebenen sozial isolierten und affektiv spröden Jobs dann auch schnell. Arbeit und Existenz in diesen Milieus scheinen immer noch weniger hierarchisch und fremdbestimmt. Eher laterale oder gar »rhizomatische« Abhängigkeitsbeziehungen lassen sich bei einer gewissen Kontaktgeschicklichkeit doch eigensinniger navigieren als die Hierarchie eines Großunternehmens. Bei den Beteiligten überwiegt auch nicht das Bild einer Unterwerfung unter den Markt sondern das eines aktiv erstrittenen »Kompromisses« zwischen dem Verwerten und dem nicht-ökonomischen Verleben, ein Kompromiss, den auszuhandeln sie doch zunehmend souverän beherrschen.
Gelingendes Dabei-Sein
Soziale Teilhabe ist nach solch lose empirischer Kurzphänomenologie also auf verschiedene Weise möglich und real, in und außerhalb von Arbeit. Die Verflechtung mit wirtschaftlichen Motiven, sei es in einer klassischen Arbeitswelt oder in einer immateriellen Netzwerk-Ökonomie setzt deren sozialintegrative Funktion noch lange nicht außer Kraft. Legt man den normativen Gesichtspunkt gelingender sozialer Integration an, so sollte man sich weder von einer allzu paranoiden Kritik der Warenform leiten, noch von Vollbeschäftigungsfetischisten auf die Arbeit als Top-Medium sozialer Teilhabe festlegen lassen.