Simon Reynolds - Frank A . Schneider - Gerhard Schulz - Jens Bisky Etabliert sich in der Kunst eine bestimmte Form als »klassisch«, so bleiben auf der Suche nach dem »Danach« Turbulenzen nicht aus. Die Durchbrechung eingefahrener Genres kann sich als Bruch durch Dritte ereignen, etwa durch eine nachfolgende Künstler-Generation, sie kann aber auch als Transformation im Werk der Protagonisten selbst erfolgen. Diese immanenten Momente des Umbruchs sind oft die interessantesten. Die Verwerfungen und die Verwirrung, die entstehen, wenn das Alte noch mit dem Neuen ringt, lassen sich nicht nur beobachten, sie färben unmittelbar auf das Kunstwerk ab, verleihen ihm Intensität und Rätselhaftigkeit. Verschwör' Dich gegen Dich.
Es ist das Verdienst von Simon Reynolds, einen solchen Transformationsprozess in der Popmusik beschrieben zu haben - den vom Punk zu einem Danach, das bis heute keinen eigenen Begriff gefunden hat, sondern lediglich den Ausgangspunkt im Namen trägt: Post-Punk. Anders als in den öden Heldenberichten von Oral-History-Büchern wie Please Kill Me erstellt Reynolds in Rip It Up And Start Again nicht nur ein Kompendium dieser Musik von 1978 bis 1984, sondern er analysiert, kontextualisiert und kommentiert - fängt also dort an, wo andere Bücher oftmals aufhören. Unter die Lupe genommen werden unterschiedliche Bands wie ABC, The Buzzcocks, Devo, The Fall, Gang Of Four, Joy Division, Scritti Politti, The Specials, Throbbing Gristle oder Wire, die ihre eigene Antwort darauf gaben, wie es mit einer Musik weiter gehen sollte, die bereits zwei Jahre nach ihrer Explosion wieder in sich zusammen fiel. Für Reynolds wurde das Versprechen von Punk erst hier eingelöst. Das Spiel mit Geschlechterrollen, der Brückenschlag zur »schwarzen Musik«, zu Soul und Disco, und damit auch die Verabschiedung klassischer Song-Strukturen, das alles gab es erst in dieser Twighlight-Zone nach dem Zusammenbruch.
Das deutsche Pendant zur britischen Post-Punk-Ära waren in gewisser Weise die ersten Jahre der sogenannten Neuen Deutschen Welle. Und auch hier hat sich mit Frank A. Schneider endlich ein Chronist gefunden, der die Schätze hebt, die auch Jürgen Teipel nicht ans Tageslicht brachte. In Als die Welt noch unterging entfaltet er - als analytisches Gegenstück zu Verschwende Deine Jugend - die Geschichte der Neuen Deutschen Welle bis hinein in die Regional-, Kassetten- und Fanzine-Szenen und rückt dabei neben kanonisierten Klassikern und Chartbreakern zahlreiche vergessene Bands des NDW-Untergrund in den Fokus. Die Tatsachen, dass der Post-Punk der NDW gar keine Punk-Vorgeschichte in der Bundesrepublik hatte, und dass der - später von Trio wörtlich genommene - Dadaismus großen Einfluss auf die bundesrepublikanische Transformation des Punk hatte, mögen zwei Gründe sein, warum die Musik dieser Jahre so krass, schrill und radikal geraten ist. Vom coolen Kunststudenten-Dandytum der britischen Spielart bis hin zur Schlafmützigkeit findet sich hier jedenfalls wenig.
Mit dem Schreiben nach den Klassikern war ein anderer lebenslang konfrontiert: Heinrich von Kleist, dessen Biographie in den letzten Monaten von Jens Bisky und Gerhard Schulz jeweils neu aufgeschrieben wurde. Wer Anfang des 19. Jahrhunderts dichtete, bewegte sich auf einem literarischen Feld, auf dem neben Wieland, Goethe, Herder und Schiller kaum Brachflächen verblieben schienen. Und auch die Rebellen gegen den Geist von Weimar wie Tieck oder Friedrich Schlegel waren bereits anerkannte Größen als Kleist sein erstes Drama Die Familie Schroffenstein 1803 veröffentlichte. Kleist schien aus der Zeit gefallen und doch ganz Kind der Turbulenzen und Widersprüche seiner Zeit. Er verließ das Militär, um zu studieren - und beschloss alsbald, angeekelt von allem Wissen, Bauer zu werden. Aus einer preußischen Offiziersfamilie stammend, wollte er auf Seiten der Franzosen gegen England kämpfen - und wurde bald darauf einer der unerbittlichsten Gegner Napoleons. Er trat in die preußische Verwaltung ein
- und tauschte die sichere Karriere sofort wieder gegen die prekäre Dichterexistenz. Der akribischen Untersuchung des Germanisten Schulz stellt der Journalist Bisky eine pointierte Interpretation von Kleists Leben als exzentrische Geschichte der Freiheit zur Seite, die vor Konventionen keinen Halt machte.
Simon Reynolds: Rip It Up And Start Again - Postpunk 1978-1984. Übersetzung: Conny Kösch, Hannibal 2007, 576 Seiten, 29.90 Euro
Frank A. Schneider: Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW. Ventil 2007, Broschur, 384 Seiten, 17,90 Euro
Jens Bisky: Kleist. Eine Biographie. Rowohlt Berlin 2007, 528 Seiten, 22,90 Euro
Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie. Beck 2007, 608 Seiten, 26,90 Euro