Er braucht Arbeit, dringend . Sie redet laut, engagiert . Er ist schlau, ja sogar äußerst klug, wirklich . Ihr Begleiter schaut sie an . Es ist nicht gut, wenn er klug ist . Er zückt sein Handy, schüttelt dabei ihre Hand mit einer kurzen Bewegung von seiner Schulter .Ich brauche keinen Klugen .Der soll seinen Job machen .Er klappt das faustgroße Gerät auf, klemmt es zwischen Kinn und Fellkragen, blickt sie an . Wenn der klug ist, verstehst du, wenn der was im Hirn hat, dann hast du immer ein Problem . Dann fängt der irgendwann an, bei der Arbeit zu denken . Dann kommt der irgendwann auch auf dumme Gedanken . Solche Leute brauche ich nicht, verstehst du... Warum ist dieser Dialog, einer unter vielen aus dem alltäglichen Weißen Rauschen, geeignet, sich im Gedächtnis festzuhaken? Aus welchem Grund vermag die Haltung des Sprechers eine Irritation zu erzeugen, einen bestimmten Reiz auszulösen? Eine vorläufige Antwort ergibt sich aus der offensiven Ablehnung einer zentralen menschlichen Fähigkeit, des Denkens. Wer ›Hirn‹ zu haben als Problem definiert, erscheint als zutiefst anti-humanistisch geprägte Person, verneint er_sie doch gerade das, was gemeinhin den Menschen etwa vom Pandabären unterscheiden soll, nämlich nicht beständig instinktiv, sondern auf Basis eigener, reflektierter Entscheidungen zu handeln. In einer arbeitssoziologisch inspirierten Lesart spiegelt sich in dieser Negation zugleich ein tief verwurzeltes Denkmuster von Rationalisierung wieder. Effizienzsteigerung wird darin im Wesentlichen nicht nur über Arbeitsteilung allein, sondern über die möglichst weitreichende Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit, die Enteignung von Wissen sowie die Unterdrückung von Selbsttätigkeit bestimmt. Den ›Kopf beim Pförtner abgeben‹, das Denken anderen überlassen - nicht nur die Produktion, auch die idealtypische bürokratische Organisation setzt auf diesen Modus. Eingebettet in ein Prinzip von Befehl und Gehorsam setzt diese eine Disziplin voraus, die, wie Max Weber feststellt, »inhaltlich nichts anderes [ist] als die konsequent rationalisierte, d.h. planvoll eingeschulte, präzise, alle eigene Kritik bedingungslos zurückstellende, Ausführung des empfangenen Befehls und die unablässige innere Eingestelltheit auf ausschließlich diesen Zweck.«
Arbeiter_innen werden in einem solchen mechanistischen, technomorphen Verständnis, zum Rädchen in der Maschinerie, wie etwa von Charlie Chaplin in seinem Film »Modern Times« wirkungsvoll in Szene gesetzt. Der Einwand, dass die Trennung von Kopf- und Handarbeit eher analytischer Natur und nie real umsetzbar ist, greift dieses Paradigma nicht an. Zentral ist vielmehr die damit verbundene Adressierungsweise: Arbeiter_innen werden unter Anrufung von Rationalität und Effizienz zum Anhängsel der organisationalen Maschine. Der Effekt ist ein machtvoller, der darauf zielt, die verbleibende, nicht zu kontrollierende Ungewissheitszone der (industriellen) Arbeiter_innen, ihre primäre Machtquelle, das Wissen um den Arbeitsprozess, zum Versiegen zu bringen.
Veraltetes Wissen – brauchbares Wissen
So trefflich die Ablehnung einer ›klugen‹ Person für einen Job in dieses Rationalisierungs- Paradigma zu passen scheint, so wenig wird sie in ihrer Verallgemeinerung der arbeitsweltlichen Entwicklungen gerecht. Bedingt durch eine fortschreitende Technisierung und Automatisierung können bestimmte Arbeitsprozesse auch und gerade in der industriellen Produktion ohne einen selbständigen Umgang der Arbeiter_innen mit Wissen nicht auskommen. Spätestens seit den 1980er Jahren wird in diesem Zusammenhang von der Industriesoziologie ein qualitativer Wandel von Managementkonzepten konstatiert: Der restringierende Zugriff auf Arbeitskraft wird von »ganzheitlichen Aufgabenzuschnitten« abgelöst. More brains than brawns – insbesondere junge, deutsche, männliche Facharbeiter der Kernindustrien (Auto, Chemie, Maschinenbau) profitieren von dieser neuen Anerkennung. Weite Teile der Belegschaften (zumeist Frauen und Ausländer) bleiben indes von den verhalten positiven Entwicklungen der technologischen Modernisierung weitgehend ausgeschlossen. Für die durch die Umsetzung von Rationalisierungsmaßnahmen steigende Anzahl an Arbeitslosen wird zugleich der Einstieg in die privilegierten Arbeitsbereiche immer schwerer. Ihr Wissen, damals noch als Qualifikation bezeichnet, passt bald nicht mehr zu den sich technisch bedingt wandelnden betrieblichen Anforderungen, es ist unbrauchbar geworden. Heute würde man sagen: Es ist veraltet.
Das reizvolle des aufgefangenen Dialogs entspringt einer doppelten, sich eigentlich ausschließenden Intuition. Eine moralisch-normative Regung empört sich über das Menschenbild des Sprechers, seine Reduktion des Arbeiters auf einen vorab klar bestimmten Teil seines Arbeitsvermögen, auf einen seiner Kritikfähigkeit enteigneten Befehlsempfänger. Welche Art von Arbeit mag das sein, um die es geht? Ein privater Sicherheitsdienst? Ein Möbelschlepper? Ein Kassierer im Discounter? Zugleich widerspricht die Rede einem ökonomischen Gespür. Wissen wird schon längst nicht mehr allein als unmittelbarer Bestandteil des Menschlichen, als Voraussetzung der eigenen Urteilsfähigkeit, also vom Individuum aus, als zentral gedacht. Im Gegenteil, menschliche Arbeitskraft wird zunehmend ökonomisch interessant, gerade weil sie die Möglichkeit zur Materialisierung von Wissen immer schon in sich zu tragen vermag. Eine Arbeitskraft zu suchen, ohne deren Wissensbestände kalkulativ mit einzubeziehen, scheint somit anachronistisch, nicht rational. Dennoch wirkt ein altes Denkmuster nach, tauchen vor unserem Auge Arbeiten auf, denen sich anscheinend zuschreiben lässt, dass sie ohne Wissen zu verrichten sind – die letzten ihrer Art?
Die Mehrheit muss draußen bleiben
Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Nach 0,08 Sekunden bestätigt Google diese Aussage mit knapp eintausend Treffern. Die stetig sich verschärfende Relevanz der Ressource Wissen habe, so eine häufig zu lesende Phrase, zu einer Wissensbasierung der Ökonomie geführt. Die Allgegenwart dieser Diagnose ist ebenso frappierend wie ihre unhinterfragte, positiv konnotierte Verwendung von Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Der Anstieg an Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die steigende Akademiker_innen-Quote sowie die vermehrte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien gelten als Beweis, der schon längst nicht mehr geführt werden muss. Als unwiedersprochener Sachzwang gilt, dass Wissen die zentrale Produktivkraft ›entwickelter‹, also leistungsstarker = ökonomisch erfolgreicher Gesellschaften ist. Mit Wissen ist Distinktion zu gewinnen, Selektion zu erreichen – und zwar mit Blick auf die immer schon als Konkurrenz auftretenden Anderen: Dies gilt für die Lissabon-Strategie der EU, die eine knowledge-based society propagiert, um den wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu errichten. Dies gilt ebenso für die Teilnehmer_in einer Weiterbildung, die mittels der Aktualisierung ihres Wissens anzeigen kann, eine wettbewerbsfähige, dynamische, wissensgestütze Arbeitskraft zu sein. Ein emphatisch aufgeladener Wissensbegriff, der sich zur Information hin abgrenzt und in sich die Behauptung trägt, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit zu stützen, wird eingebunden in einen teleologischen Wissensbegriff, der mit Ideen wie Wissensmanagement, Wissensbilanzen und Wissensakkumulation aus seiner ökonomischen Überformung keinen Hehl macht.
Wissensarbeit beinhaltet durch den normativ unangreifbar scheinenden Begriff des Wissens eine Adressierungsweise, die sapere aude ruft und das gewusst wie schon voraussetzt. Dass nicht nur die Entäußerung von Wissen, sondern auch seine Aneignung eine Anbindung an Arbeit und Kapital voraussetzt, dass nur bestimmte Akteure überhaupt Zugang zu diesen Aneignungs- und Entäußerungsprozessen haben, wird vom strukturellen Problem zur individuellen Angelegenheit. Erst so kann von einem ›Alterungsprozess‹ von Wissen gesprochen werden, erst dann enttarnt sich, was gemeint ist: Brauchbarkeit, Verwertbarkeit, Nützlichkeit. Wer sich, unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft, nicht beständig darum bemüht, sein Wissen selbsttätig im Sinn einer Ökonomisierbarkeit zu aktualisieren, ist bald schon ›draußen‹. Wer nach Alter, Herkunft und Geschlecht nicht die richtigen Voraussetzungen hat, sich performativ als Wissenarbeiter_in in Szene zu setzen, bleibt ›draußen‹. Dies könnte auch in Wissensgesellschaften die Mehrheit sein.