Manche hoffen auf ein Ende der Arbeit, Andere fordern das bedingungslose Grundeinkommen - aber eigentlich kann uns nur eine gerechte Organisation der Arbeit das bringen, was wir von ihr erwarten: Ausbildung und Anerkennung.
In seinen letzten Arbeiten hat André Gorz eine unüberbietbar kritische Diagnose unserer kapitalistischen Arbeitsverhältnisse vorgelegt. Ihm zufolge ist jede Politik ideologisch, die an der kapitalistisch organisierten Erwerbsarbeit als einer sozialen Notwendigkeit festhält und sie arbeitsmarktregulativ zu unterstützen sucht. Solche Versuche scheinen ihm zum Scheitern verurteilt, weil sich die Politik mit ihnen auf ein Spiel einlässt, das sie nicht gewinnen kann, sondern sie in die Rolle des erpressbaren Gehilfen der Arbeitgeber zwingt. Elogen auf den Wert des knapper werdenden Guts »Arbeit« verzerren Gorz zufolge nicht nur die Realität der Zulieferbetriebe, die in der Arbeit gerade nicht sozial integriert, vielmehr zu ausbeutbaren Kleinunternehmen zersplittert sind, sie festigen zudem eine Vorstellung von Arbeit, unter der wiederum nur die Arbeitenden selbst zu leiden hätten. Im utopistischen Gegenentwurf hat Gorz auf der Basis eines existenzsichernden, bedingungslosen Grundeinkommens die Vision einer freien, anti-kapitalistischen Arbeitswelt beschrieben, in der das Arbeiten kommunal selbstorganisiert, um seiner selbst willen neu gelernt werden soll. In der entlasteten Selbstverfügung soll sich ein freier Umgang mit der »Wissensarbeit« herausbilden, der durch die informationstechnologische Entwicklung zunehmend ermöglicht wird.
Gorz' Diagnose steht in der marxistischen Tradition. Sie vermag die emanzipative Verwandlung der Arbeit nur aus der internen Logik der Arbeit selbst zu erwarten, und nicht etwa aus einer gerechten Organisation der Arbeit. Auch Gorz' Votum für ein bedingungsloses Grundeinkommen entspringt nicht etwa Gerechtigkeitserwägungen sondern der Hoffnung, allein aufgrund des Qualitätssprungs der bedingungslos gesicherten Existenz könnten sich die kreativen Arbeitspotentiale neu entfalten! Pessimismus und Optimismus in Diagnose und Prognose sind damit etwas ungleich verteilt: Von Gerechtigkeit wird nichts, von neuen Arbeitsweisen alles erhofft.
Gerechtigkeit als Ideologie?
Visionen sozialer Gerechtigkeit haben in der sozialistischen Tradition eine lange Geschichte des Gespötts und Ideologieverdachts. Doch weder der der anthropologische Arbeitsbegriff des frühen, noch der ökonomische Funktionalismus des späten Marx bieten eine auch nur halbwegs plausible Alternative zur gerechten Gesellschaft. Diese muss auch und vorrangig eine gerechte Arbeitsgesellschaft sein. Unter Bedingungen knapper werdender Erwerbsarbeit mag zwar die Idee eines hypothetischen »Arbeitsvertrags« aller Gesellschaftsmitglieder variiert werden müssen, aber im Gegensatz zu Gorz’ im Privaten versinkenden Ausstiegsszenarien bleibt sie immerhin eine realisierbare gesamtgesellschaftliche Vision. Anders als im Marxismus sollten wir deshalb Argumenten zur Arbeitsgerechtigkeit mehr Spielraum geben, eine andere Art von politischen Argumenten haben wir am Ende nicht.
Angesichts der strukturellen Erwerbsarbeitslosigkeit scheint sich freilich der Vorschlag eines Grundeinkommens mit seinen freieren Arbeitsmöglichkeiten ebenso anzubieten wie die traditionelle Politik des gesteuerten Arbeitsmarkts. Tatsächlich ist das Grundeinkommen mit der Vision einer anderen Art von Gesellschaft verknüpft, die man danach beurteilen sollte, inwieweit sie den impliziten Arbeitsvertrag der gegenwärtigen Gesellschaft und damit das Verständnis der Arbeitsgesellschaft verändert. Mit der traditionellen Vorstellung des impliziten Arbeitsvertrags sind vor allem zwei Annahmen verbunden: die der umfassenden und wechselseitigen Beteiligung an der Arbeit zu fairen Bedingungen sowie die Rolle der Arbeit als zentrales Lebensgut für jedes Gesellschaftsmitglied. Beide Dimensionen der Arbeitsgesellschaft, die der fairen Lastenverteilung in der Produktion sowie die der sozial organisierten wertvollen Arbeit, gilt es zu bewahren – beide werden aber durch den Vorschlag des bedingungslosen Grundeinkommens eher bedroht als gefördert.
Begründet man das Grundeinkommen einzig aus dem Wert individueller Freiheit, ist mindestens der faire Arbeitsvertrag aufgegeben, genauer aber auch die versprochene »reale Freiheit« infrage gestellt. Die Gesellschaftsmitglieder verstehen sich dann als Bewahrer ihrer Freiheit, ohne an Leistungsverpflichtungen gebunden zu sein. Der Vorteil derer, die einzig von ihren Kapitaleinkünften leben und nicht produktiv beitragen, wird zwar auf alle übertragen, da aber produziert werden muss und die Vorstellung unrealistisch ist, dass diese Produktion vollständig »selbstverwirklichend« realisierbar wäre, wird auf die Pflicht der fairen Beteiligung an der Produktion verzichtet. Eine zunehmende Zahl muss und wird sich nicht mehr beteiligen. Die verbleibende Vision der gemeinsamen Freiheit kann diesen Verlust nicht ersetzen, weil die damit gemeinte individuelle Freiheit Menschen nicht verbindet, sondern trennt. Ebenso utopisch ist die Vorstellung, dass ohne Arbeitsvertrag mehr produziert würde und das zu erwirtschaftende Grundeinkommen auch ohne den Zwang zur Gerechtigkeit zustande käme. Viel wahrscheinlicher ist, dass es sich zur bedingungslosen Sozialhilfe auf niedrigem Niveau entwickelt, die ihrer strikten Gleichverteilung wegen die unteren Einkommen erheblich schlechter stellt als bisher.
Der Wert der Arbeit
Wichtiger ist aber, dass die Sphäre der bezahlten Arbeit ein Medium der Entwicklung individueller und sozialer Fähigkeiten bildet. Ohne einen gerechten Arbeitsvertrag wird der Politik die Möglichkeit entzogen, die Arbeitsbedingungen zu steuern. Dabei ist es unnötig, in eine langwierige Diskussion einzutreten, ob nicht private und freiwillige Arbeit, Freizeitaktivitäten, Sport und Bildung dieselben Ausbildungs- und Anerkennungsmöglichkeiten eröffnen wie die bezahlte Arbeit (was sich leicht bezweifeln lässt). In jedem Fall gilt: Mit der bezahlten Arbeit als Sphäre persönlicher Entfaltung büßt man viele reale Chancen und Möglichkeiten ein, mithilfe wertvoller Arbeit seine Fähigkeiten zu verbessern und soziale Anerkennung zu finden.
Solche prinzipiellen Gründe mögen realitätsfern erscheinen. Reichen für ein kritisches Urteil gegenüber der gegenwärtigen Arbeitsgesellschaft nicht Beobachtungen wie die, dass die Arbeitslosen durch degradierende workfare-Regeln gezwungen werden, einen Gemeinwohl-Beitrag zu leisten, während gut ausgebildete und jüngere Arbeitnehmer solchen Zwängen geschickt entgehen? Sind Zwangsmaßnahmen wie die 1-Euro-Jobs nicht zu Disziplinierungsmethoden gegenüber denen entartet, die in ihrer sozialen Position bereits eine schwache Rolle einnehmen und eher unterstützt als diszipliniert werden sollten? Solche Bedenken gegenüber konkreten Maßnahmen sind ähnlich zweischneidig wie der generelle Vorschlag des Grundeinkommens.
Gerecht organisierte Arbeit schließt die Forderung nach gerechten Hintergrundbedingungen für die Arbeit ein. Diese Bedingungen sind nicht erfüllt, wenn Kapitalbesitzer ihren Beitrag als Kapital anstelle von Arbeit leisten können, oder wenn die sozialen Ausgangsbedingungen stark ungleich sind und nicht ausreichend kompensiert werden. Ungerechte soziale Verhältnisse verwandeln die Forderung nach fairen Arbeitsbeiträgen in ihrerseits ungerechte, weil nur gegenüber einem Teil der Gesellschaft angewandte Zwänge. Der vermeintliche Ausweg, den impliziten Arbeitsvertrag aufzulösen anstatt etwa mehr Mittel für die Verbesserung der Ausbildung zu fordern, ist aber riskant. Dass die nachholende Ausbildung von Arbeitslosen häufig als Zwang erfahren wird, liegt sicher auch daran, dass sie den tatsächlichen Ausbildungsmangel nicht wirklich beseitigt und die emanzipative Chance nicht bietet, die eine notwendige Voraussetzung für eine gerechte Arbeitsgesellschaft ist. Die Arbeit als den gesellschaftlichen Raum für Gerechtigkeit aufzugeben, sollte man jedoch erst dann erwägen, wenn man dafür etwas mindestens gleich Gutes anzubieten hat!