Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #4: Über Arbeiten



Editorial

 
Peter Siller, Bertram Keller
Editorial



ANSCHLUSS

 
Ralf Obermauer
Die Hölle, das ist ohne die Anderen
Tätigkeit und sozialer Sinn in politischen Diskursen
 
Axel Honneth
Arbeit und Anerkennung
Versuch einer Neubestimmung
 
Anton Leist
Ausstieg oder Ausbildung
Ein Vorschlag zur Arbeitsgesellschaft jenseits von Marx und Gorz
 
Birger P. Priddat
Wert, Kompetenz, Kommunikation, Spiel
Elemente einer modernen Theorie der Arbeit
 
Chrisitan Neuhäuser
Was machen Sie eigentlich so?
Arbeit, Arbeitslosigkeit und WĂĽrde
 
Neue Deutsche Sprachkritik
>Was bin ich?<
Der wahre Text
 
Nina Apin
Tren Blanco – Der Weiße Zug
Die MĂĽllsammler von Buenos Aires
 
»Menschen mit schmutzigen Händen«
Interview mit Ali Witwit
 
Christophe Dejours
Suizid am Arbeitsplatz
Zur Psychopathologie der modernen Arbeitswelt
 
 

Aram Lintzel

Sinncontainer

>Debatte<


Die Debatte ist das privilegierte Format der Selbstvergewisserung in der bürgerlichen Gesellschaft. Debatten, so sagt man, sind Ausweis einer »lebendigen Streitkultur«, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um »Scheindebatten« oder gar »Gespensterdebatten«. Die eigentliche Domäne der Debatte ist das Feuilleton. Hier hat sich ein schier unüberblickbares Register aus Debatten entwickelt, meist sortiert nach männlichen Eigennamen. Schlag nach unter: »Walser-Debatte«, »Grass-Debatte«, »Mosebach-Debatte« etc. pp. So offen Debatten zu sein haben, so geregelt sind sie zugleich. Eine Ordnung der Prominenz legt fest, wer ein ›starker Sender‹ ist, Sprecherpositionen und Zuständigkeiten dürfen in der Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht dem Zufall überlassen bleiben. Diese regulative Funktion von Debatten widerspricht allerdings dem Gestus, mit dem sie oft angezettelt werden. Der Debattenkönner stellt sich nämlich gerne an einen - fiktiven - anarchischen Nullpunkt, an dem völlig neu nachgedacht werden müsse und könne. Die Debatte versetzt demzufolge in Bewegung, was starr war. Viele Debatten beginnen denn auch mit einem sogenannten »Tabubruch«: Endlich werde geredet, worüber angeblich noch nie geredet werden durfte (beispielsweise über die »Israel-Lobby« oder die Geistesverwandtschaft zwischen Saint-Just und Himmler). Leider dementiert diese Geste sich selbst, denn längst hat sich der Tabubruch zum wiederkehrenden Ritual verfestigt, zum Unterschied, der keinen Unterschied mehr macht. Hat zum Beispiel jemand mitgezählt, wie viele RAF-Debatten oder Nazivergleich-Debatten es schon gegeben hat?

Vergangene Debatten funktionieren als vielsagende Platzhalter, mit denen sich der Sprecher in einen Kontext einschreiben kann (»die x-Debatte hat ja gezeigt, dass...«). So entsteht gerade im feuilletonistischen Diskurs ein geschlossenes Debattensystem, in dem jede Debatte immer schon auf eine andere Debatte verweist. Die »Offenheit« der Debatten beschränkt sich dabei meist darauf, dass sie ohne Entscheidung oder Fazit enden und so auf mysteriöse Weise ausklingen. Überhaupt klafft zwischen der Realität der Debattenkultur und ihrem Freiheitsversprechen oft eine tiefe Kluft: Weil jede Debatte früher oder später professionelle Zuständigkeiten auf den Plan ruft und sie von Debattokraten bewirtschaftet wird, geschieht Unvorhersehbares nur in Ausnahmefällen. Nicht jedes Gerede ist eine Debatte, über Relevanz des Themas und zugelassene Positionen bestimmen die Gatekeeper in den Redaktionen. Von der Suspension der Sachzwänge, die man sich mit jeder »offenen« Debatte zu gönnen glaubt, bleibt dadurch wenig übrig. Ja, die Debatte kann selbst in die Fänge der Technokratie geraten und zum Sachzwang werden, zum Sachzwang zweiter Ordnung gewissermaßen. Wer etwa die Demographie-Debatte unwichtig findet, erscheint als unvernünftig, weil er den Tatsachen nicht ins Auge sehen will. Die vor allem in der Politik beliebte Ansage »Wir müssen diese Debatte führen!« markiert eben diesen Punkt, wo die Debatte von angeblich objektiven Notwendigkeiten statt von idiosynkratischer Lust und Laune angetrieben wird. Wenn man auf der Höhe der Zeit sein will, dann dürfen notwendige Debatten nicht verdrängt werden. Das holt einen eines Tages unangenehm ein.

Sollte die Debatte wegen ihres Zwangscharakters also abgeschafft werden? Keineswegs. Im Gegenteil: Sie müsste vor den beschriebenen Verfallsformen bewahrt werden. Denn wenn sie gelingt, dann fördert sie zwischen den Kuschelkissen des Postpolitischen wenigstens noch ein paar ideologische Krümel zutage. Trotz all ihrer Trägheit hat die Grass-Debatte immerhin denen, die es noch nicht wussten, die Entlastungsbedürfnisse diverser Feuilletonisten vorgeführt (›ja, wenn selbst der ein Nazi war, dann muss die linke Moralkeule jetzt ein für allemal einpackt werden‹). Der immer wieder ertönende Aufruf, man solle diese oder jene Debatte »nicht ideologisch führen«, wäre dann allerdings eine Verkennung des tiefen Sinns jeder Debatte. Wir brauchen gerade mehr »Gespensterdebatten«, solche nämlich, die von jenen ›untoten‹ Ideologien heimgesucht werden, die im Selbstbild der demokratischen Diskursgemeinschaft verleugnet werden. Je mehr Maßlosigkeiten und Maximalforderungen in Debatten umhergeistern, desto besser. Für pragmatische Kleinteiligkeit gibt es schließlich genügend andere Formate.



 
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Ina Kerner
Leben im Kapitalismus
>Paradise lost<



HIRN

 
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Die Erfindung des Gemeinsamen
Acht Thesen zur Transformation der Arbeitswelt
 
Don Tapscott
Unternehmen 2.0
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»In der Wissensökonomie könnte Geld unnötig werden«
Interview mit André Gorz
 
Johannes Albers
»Polke, du faule Sau«
Faule Künstler im Zeitalter von Rekordumsätzen über die dann in der Gala berichtet wird
 
Kendra Briken
Hirn und Muskeln
Arbeit in der Wissensgesellschaft
 
Tim Caspar Boehme
Macht sauber, was euch kaputt macht
Kunstpraxis als gesellschaftliches Dialogfeld
 
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Streitgespräch mit Katrin Göring-Eckardt und Katja Kipping
 
Adrienne Goehler
Nicht mehr und noch nicht
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>Selbstbestimmung<
 
Christoph Raiser
Mein halbes Jahr
>Musik<
 
Simon Rothöhler
Mein halbes Jahr
>Film<
 
Peter Siller
Mein halbes Jahr
>Literatur<



SPIEL

 
Michael Eggers
Lustspiele und Frustspiele
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Ausweitung der Prekaritätszone
Vom Ende der Arbeitsgesellschaft, wie wir sie kannten
 
Dominik Walther
Schuften im Weltall
Filmische Zukunftsszenarien jenseits von Grundeinkommen und Vollbeschäftigung
 
Judith Siegmund
Berufung – Job – Maloche
Kunst mit Arendt zum Ende der Arbeit
 
Martin Saar
Bildpolitik
>Arbeitsschutz<



SCHÖNHEITEN

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