In Deutschland herrscht noch immer eine moralische Auffassung von Arbeit, in der Pflicht einen höheren Wert hat als der Anreiz, in der Arbeit schöpferisch tätig zu sein . Arbeit darf kein Spiel sein; damit entgeht der Arbeit aber das innovative Moment.Arbeit gliedert sich dreifach: 1. in die Dimension der Arbeit als ausführende Herstellung von etwas (und zugleich als Erwerbsquelle); 2. in die Dimension der Arbeit an sich selbst (Qualifikation und Anerkennung der Kompetenz); und 3. in die Dimension der Arbeit als Kommunikation mit anderen (mit Mitarbeitern im Unternehmen, mit Kunden und mit Mitarbeitern anderer Unternehmen). Die Dimensionen bauen auf die jeweils vorherigen auf, komplettieren sie. In diesem Sinne ist die Arbeit im 18. Jahrhundert von der Komplexion 1, im 19. Jahrhundert von der Komplexion 1,2 und die modernen Arbeit des 20. Jahrhunderts von der Komplexion von 1,2,3.
Die 1. Dimension ist in der Neuzeit entfaltet worden: Hierbei wird Arbeit zum einen als Transformation von Natur in Wertform, später in Nutzen verstanden (Produktion); zum anderen ist Arbeit in Höhe der Erhaltung der künftigen Arbeitsfähigkeit (Reproduktion) zu entlohnen: Arbeit schafft Wert durch (a) die Leistung selbst und (b) durch das Einkommen.
Die 2. Dimension ist im 19. Jahrhundert betont worden: dass die Arbeit den Arbeitenden auch für sich selbst bilden müsse. Sie ist zuerst als philosophische Anforderung, später als sozialreformerische »Humanisierung« der Industriearbeit formuliert worden (»Aufhebung der Entfremdung durch Arbeit«); zuletzt wurde sie zur praktischen Anforderung der Qualifizierung: Arbeit schafft Kompetenz.
Die 3. Dimension ist im (späten) 20. Jahrhundert hinzugekommen: Kooperation und Kommunikation. Diese Dimension eröffnete sich erst, nachdem die hierarchisch-arbeitsteilige Produktion an ihre Grenzen stieß; wir befinden uns heute inmitten dieses Prozesses. Hinzu kommt die »virtuelle Revolution« der neuen Kommunikationstechnologien: Arbeit schafft Kommunikation.
Jetzt - am Übergang zum 21. Jahrhundert, zugleich zum 3. Jahrtausend - kommt eine 4. Dimension hinzu, deren Valenz wir gerade erst zu entdecken beginnen: dass die Arbeit eine offene Beziehung zum Spiel hat.
Arbeit wird dort Spiel, wo sie nicht mehr als festgelegte Aufgabe - in einer hierarchischen Organisation - ausgeführt werden soll, sondern wo sie in den lernenden Prozessen die Arbeitenden ihre Kompetenz immer wieder neu entwickeln lässt, und wo sie in den interaktiven Prozessen der Kooperation und Kommunikation ihr Ergebnis erst finden muss. »Spielerisch« (nicht »verspielt«) sich in Interaktionen einzulassen, deren Resultate notwendig nicht vorhersagbar sind, wird neue Kompetenzen erfordern, die man gerne als »kreativ«, »innovativ« etc. bezeichnet.
Systematisch kann hier nur erst festgehalten werden, dass die 4. Dimension der Arbeit den neuen Umstand bezeichnet, dass die Arbeit sich immer wieder neu erfinden muss. In der Relation zum Spiel wird die Riskanz sichtbar, in die diese offene Form der Arbeit kommt. Diese Riskanz aber ist keine unnötige Restriktion, sondern der Raum der Selbsttätigkeit und Erfindungen, der notwendig geöffnet sein muss, um den sich ändernden Marktanforderungen gerecht zu bleiben.
Arbeit als Spiel?
Wert, Kompetenz, Kommunikation und Spiel sind die signifikanten Dimensionen der Arbeit im Übergang zum nächsten Jahrhundert: Im Wert wird das zweckhafte Resultat der Arbeit benannt; in der Kompetenz die unbedingte Voraussetzung der gelingenden Arbeit; in der Kommunikation das soziale/interaktive Verfahren, die soziale Anerkennung; und im Spiel die Offenheit der Arbeitsprojekte.
Indem das Spiel ins Spiel kommt, bleiben die ersten drei Dimensionen der Arbeit zwar vollständig erhalten, werden aber neu interpretiert: Die Kommunikation/ S(piel) (inklusive der durch sie gestalteten Koordination) ist – aus der neuen Perspektive der Spiel/Arbeit-Relation – kein Informationsgeschehen, sondern eine Erörterungsarbeit, in der zwischen Mitarbeitern, Kunden und Externen gemeinsam festgestellt und begründet wird, was jeweils zu tun ist; die Kompetenz/S ist nicht mehr nur eine Eingangsbedingung für die Arbeitsausführung, sondern ein perennierender Lernprozess, der wesentlich durch das spielerische Riskieren/ Probieren und durch die kommunikative Erörterung sich verändert; der Wert/S der Arbeit wird schlicht dadurch neu bestimmt, dass die Herstellung von etwas nicht allein durch definierte Arbeitsprozesse geschieht, sondern durch zum Beispiel die Ko-Operation von »Kunden«, die traditionell für die gesamte Arbeit zahlen. Wie aber wird eine Arbeit bewertet, an der die »Kunden« mit-gearbeitet haben?
Erst wenn die Arbeiter- bzw. Angestelltenindividuen – auch diese Unterscheidung wird hinfällig werden – die Arbeit als Nexus von Wert, Kompetenz, Kommunikation und Spiel zu betrachten gelernt haben, werden die Elemente vital, die die zwischenzeitliche (industriegesellschaftliche) Trennung von Arbeit und Leben aufzuheben beginnen lassen. Dazu ist der gleiche Nexus in den Organisationen zu realisieren: als Angebot, das die Individualität der Arbeitenden zu spiegeln bereit ist. Niemand wird sich einbilden können, dass Routinen und angestrengte Monotonie beim Arbeiten aufhören werden; aber es kommt entscheidend darauf an, in welchem Kontext diese Anstrengungen gefordert werden. Wenn es ein selbst gestellter Kontext ist, sind die anstrengendsten Tätigkeiten genauso bewältigbar wie die ungewohntesten, neuen, überraschenden.
»Individualität« ist selbst eine Kompetenz, die zu den Standards neuzeitlicher Modernisierung des Abendlandes gehört. In den US-amerikanischen Organisationswelten wird sie hofiert; nicht in den japanischen. In der abendländisch-neuzeitlichen Kompetenz aber steckt noch etwas, was sie von den US-amerikanischen Organisationswelten trennt: Es ist keine Individualität per se, sondern eine interaktiv bereits immer schon vermittelte: Arbeit ist auf Kooperation angelegt.
Exzentrizität als Asset
Die Chancen Europas – das sich aus anderen Gründen gerade zu einer Union verbinden will – stehen ganz gut, wenn wir aufhören, uns an unsere Traditionen der 1. und 2. Dimension der Arbeit zu binden, sondern uns der 3. und 4. Dimension öffnen. Gerade das, was wir, angesichts der hohen Arbeitslosenquoten, als inadäquate Antwort vielleicht meinen beiseite schieben zu sollen: die sich öffnende kommunikative Dimension der Arbeit, ist eine Potenz der europäischen Nationen, die zum einen gerade ihre Traditionen – Arbeit als Zusammenarbeit zu verstehen – reaktualisiert, aber nicht im Gespensterkleid des 19. Jahrhunderts, das die Fahne der »Solidarität« hochhielt, sondern in der Extension der Individualität und ihrer Kommunikationen. Die »Zukunft der Arbeit« ist im Keim unserer Kultur angelegt, aber ihr konservativ-konservierender Gestus hindert uns, den nächsten Schritt zu tun: ihre Individualisierung zu betreiben, um ihre Exzentrik zu fördern.
Es ist eine Paradoxie des Kapitalismus, dass seine Form der Kultur, das Unternehmertum, kommen muss, um die Arbeiter dazu zu bringen, die Arbeit interessant zu finden, weil sie sie – innerhalb reorganisierter Organisationen – selber unternehmen sollen. Anstatt – wie in den sozialistischen Konzeptionen – die Arbeit an kollektive Organisationsprozesse zu binden und die Unternehmer abzuschaffen, zu »enteignen«, d.h. in die Zunftrepublik zurückzuführen, wird jetzt eine neue Konzeption virulent, in der die Arbeiter frei werden, Unternehmer im Unternehmen zu werden. Anstelle der Abschaffung die Verallgemeinerung der Unternehmer! Nach dem sozialistischen Experiment läuft jetzt das gegenteilige, entrepreneuriale an.
Das ist konsequent: auf die Erfahrungswelten kollektiver Lebensformen können wir heute nicht mehr zurückgreifen, also greifen wir vor auf die mögliche Welt individueller Kreativität. Man darf sich nichts einbilden über die Breitenwirkung, aber dass es ein neuer Stil der Arbeit ist, kann man nicht leugnen. Versuchen wir das nächste epochale Experiment!