Eine Person, die sich und ihr Leben selbst bestimmt, spricht für sich selbst - mit eigener Stimme. Zwar hat sie die Umstände, in denen sie lebt oder arbeitet, niemals ganz in der Hand, doch sie will auf diese Umstände ihre eigene - eben: selbstbestimmte - Antwort geben. Insofern ist der Entschluss, Verantwortung zu übernehmen, mit Selbstbestimmung identisch. Und in autonomer Arbeit hätte dieses selbstverantwortliche Entschließen zum Ausdruck zu kommen. Es ist nicht schwer, sich solche Verhältnisse auszumalen - aber sie auszuhalten kann durchaus anstrengend sein: Gemeinsames Entscheiden, was überhaupt, wann und wie es zu tun ist, ohne dass einem diese Entscheidungen ständig abgenommen werden. Eine Tätigkeit, die Sinn macht, persönlich und gesellschaftlich; in der man sich nicht nur wiederfindet, sondern auch entwickelt. Arbeitsergebnisse, mit denen man sich sehen lassen kann und will. Sind solche Forderungen utopisch? Ja, für viele, leider, und auch deshalb sind sie links. Aber sind sie naiv? Im Gegenteil. Denn naiv, ja, infantil ist immer der Zustand, in dem ich erwarte, dass andere für mich entscheiden. (Arnd Pollmann)
»Wir suchen Menschen mit Leidenschaft« (http://www.karriere.mckinsey.de/ index.html). Lust, Freiheit, Abenteuer, Herausforderungen und Risiken beherrschen heute die Sprachwelten der Stellenmärkte, Unternehmensberatungen und Führungsetagen. Entscheidungsspielräume und persönliche Interessen werden in diesem Wertekosmos nicht beschränkt, sondern im Gegenteil: entfaltet. Selbstbestimmtes Arbeiten wird nicht länger von unten eingefordert sondern von oben erwartet. Als Kompetenz einerseits, als Beitrag zur Wertschöpfung andererseits. Vorraussetzung für das erfolgreiche Erschließen dieser Ressource namens »Engagement« ist die Harmonisierung der Unternehmensinteressen mit denen der Mitarbeiter. Deswegen besteht die Aufgabe der Unternehmensführung jetzt darin, das selbst bestimmte Handeln der Einzelnen durch die Vermittlung gemeinsamer Interessen an unternehmerischen Zielen auszurichten. Ob Selbst-Bestimmung links, rechts, gut, schlecht, schön oder schädlich ist, kann, so gesehen, nur an den Interessen der Unternehmung gemessen werden, in der das Selbst den gemeinsamen Bestimmungen folgt. (Anja Wollenberg)
Überall wundert man sich, dass Gesundheit so ungleich verteilt ist: Wer mehr verdient, gebildeter ist oder einen besseren Job hat, lebt durchschnittlich länger und gesünder. Noch erstaunlicher ist es, dass sich dieser Zusammenhang von Sozialstatus und Gesundheit durch alle Schichten zieht und auch dann besteht, wenn alle Bürger Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Ein Faktor, der für diese Gesundheitsungleichheit verantwortlich zu sein scheint, ist das Ausmaß der Selbstbestimmung am Arbeitsplatz. Fehlende Kontrolle über das eigene Arbeitsumfeld, geringe Anerkennung und die ängstliche Erwartung der nächsten überfordernden Anweisung des Vorgesetzten verursachen Stress, der sich gesundheitlich äußerst ungünstig auswirkt. Wer den Statistiken der Epidemiologen nicht traut, lese noch einmal Martin Walsers »Seelenarbeit« über den Chauffeur Xaver Zürn, der sich nie traut, seinen Chef, den Fabrikanten Dr. Gleitze, auf den langen Autofahrten um eine Toilettenpause zu bitten, und deshalb sein ganzes Leben mit Abführmitteln und Bauchschmerzen verbringt. Fremdbestimmtes Arbeiten macht krank. Wenn Selbstbestimmung am Arbeitsplatz dann nicht links ist, was dann? (Stefan Huster)
Selbstbestimmung kann sich auf die Zielsetzungen von Arbeit beziehen, aber auch auf die Arbeitsprozesse. Nur wenn hinsichtlich der Arbeitsziele ein Einverständnis besteht, besitzt auch die Flexibilität der Umsetzung einen emanzipatorischen Wert. Zu warnen ist in jedem Fall vor der Arroganz von Wissens- und Kulturarbeitern gegenüber sog. »einfachen Tätigkeiten«, auf die aber trotzdem keiner verzichten will. Die Bestimmung des Selbst schließt ausdrücklich die Entwicklung einer Vorstellung vom Zusammenleben ein. Und solange der Wohlstand dieser Gesellschaft auf Arbeitsteilung beruht, solange wir der Meinung sind, Müllmänner, Pizzabäcker und - auch das gibt es noch - Fabrikarbeiter zu brauchen, liegt schon alleine in dieser Reziprozität ein Grund, der einen herabschauenden Blick verbietet. Zu warnen ist darüber hinaus vor einer pauschalen und mitunter paranoiden Deutung des Anwachsens des »kreativen Sektors« und der Selbstbestimmungs-Spielräume als sublimste Form der kapitalistischen Entmündigung. Automatisierung und Dezentralisierung haben nicht nur das Potential zur Rückeroberung von mehr Autonomie und reflexiver Tätigkeit, in bestimmten Bereichen wird dies auch sichtbar. Dort aber, wo uns McKinsey Selbstbestimmung als Technologie der Eigenmotivation verkaufen will, ist Gegenwehr gefragt. (Peter Siller)