Auf dem jüngsten Parteitag der Grünen wurde das Grundeinkommen mit knapper Mehrheit abgelehnt zugunsten einer bedarfsorientierten Grundsicherung . Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt war Leiterin einer grünen Arbeitsgruppe dazu und ist gegen ein Grundeinkommen . Katja Kipping ist Sprecherin des parteiübergreifenden Netzwerks bedingungsloses Grundeinkommen und wirbt als stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken dafür in einer Partei, die sich mit Kritik an der Arbeitsgesellschaft eher schwer tut. polar: Jenseits aller politischen Themenkonjunkturen bleibt Arbeit immer eines der mobilisierungsfähigsten, oft wahlentscheidenden Themen, warum?
Katja Kipping: Das liegt zum einen in dem Missverhältnis zwischen der zentralen Bedeutung, die Arbeit immer wieder zugeschrieben wird, und dem konkreten Mangel an Arbeitsplätzen. Erwerbsarbeit ist dabei überdeterminiert, denn der Reichtum dieser Gesellschaft basiert mitnichten nur auf Erwerbsarbeit. Es werden heute doppelt so viele Stunden in unbezahlter Arbeit geleistet wie in bezahlter. Zum zweiten haben wir gegenwärtig enorme Umbrüche in der Arbeitswelt. Und schließlich ist trotz der starken Ausrichtung der Gesellschaft auf Arbeit - wo dir eingeimpft wird: »Nur wenn du arbeitest, bist du was wert.« - die Zufriedenheit mit Arbeit extrem gering. Gerade einmal 12 Prozent der Beschäftigten sagen, dass sie gute Arbeitsverhältnisse haben.
Katrin Göring-Eckardt: Gleichzeitig definieren sich aber viele auch selber darüber, was sie für eine Arbeit haben, wie die zustande gekommen ist, was man daraus zieht etc. Unzufriedenheit mit der konkreten Arbeit sagt noch nichts über Unzufriedenheit mit dem Arbeitsleben als solchem. Natürlich teile ich, dass es Umbrüche gibt. Ich glaube allerdings überhaupt nicht, dass wir am Ende der Arbeitsgesellschaft sind. Die Verbindung zwischen Sinnsuche und Arbeit, auch Erwerbsarbeit, wird immer sehr eng bleiben. Nicht weil die Gesellschaft oder irgendwer sonst das von oben den Menschen zuschreibt, sondern weil sie das selber so sehen. Deswegen wollen sie sinnvolle Arbeit machen und deswegen sind sie auch bereit, aus einer Arbeit, die ihnen nicht zu 100 Prozent zusagt, etwas Gutes zu machen.
polar: Nach einer suggestiven These sorgen Rationalisierung und steigende Produktivität dafür, dass trotz gelegentlich entstehender neuer Märkte und Dienstleistungen die notwendige Arbeit insgesamt weniger wird, stimmt das?
Kipping: In den klassisch produktiven und landwirtschaftlichen Bereichen gibt es natürlich einen extremen Rückgang. Ich würde nicht generell sagen, dass wir am Ende der Arbeit sind. Es entsteht ja gleichzeitig auch neuer Bedarf an Arbeit, etwa im Bereich Sozialarbeit oder Ökologie. In der Summe ist meine Einschätzung aber, dass man schon eher mit einem reduzierten Arbeitsvolumen rechnen muss, gerade wenn man Arbeitsplätze auch ökologisch auf den Prüfstand stellt. Ich halte das auch für anstrebenswert, weil für mich Erwerbsarbeit in dieser Form schon zum Reich der Notwendigkeit gehört, das zwar nie ganz abgeschafft wird, aber doch soweit es nur irgendwie geht zugunsten des Reiches der Freiheit reduziert werden sollte.
Göring-Eckardt: Das ist ein falsches Gegensatzpaar. Die Frage ist doch eher, wie eigentlich aus klassischer Erwerbsarbeit selbst immer mehr frei bestimmte Tätigkeit wird. Erwerbsarbeit würde ich nicht einfach bloß im »schlechten Reich« des Notwendigen verorten. Ich schätze auch die Gesamtentwicklung etwas anders ein. Erstens werden in Europa wegen der demografischen Entwicklung weniger Menschen ein etwa gleich hohes Maß an Arbeit erledigen müssen. Zweitens werden wir in den Bereichen Kinder und Jugendliche und vor allem Pflege und Alter ganz neue Arbeitsfelder haben. Und drittens gibt es eine spannende Entwicklung bei manchen Unternehmen, wo man sich von klassischer Rationalisierung und Automatisierung abwendet. Man hält die Übertragung von Arbeit auf Maschinen, Roboter und Bänder dort nicht mehr für erfolgreich und setzt wieder mehr menschliche Arbeit ein. Damit haben nicht irgendwelche alternativen, kommunardischen Firmen angefangen, sondern der Global Player Toyota. In Deutschland macht das etwa der Unternehmer Fischer, ein Dübelhersteller. Der sagt, sie seien viel erfolgreicher, seit sie wieder mehr menschliche Arbeit einsetzen, in Bereichen, wo sie in den letzten 30 Jahren stets rationalisiert hatten.
Kipping: Die Tendenz, dass wieder mehr Arbeit von Maschinen auf Beschäftigte übertragen wird, hat doch wohl eher mit der starken Ausweitung des Niedriglohnsektors zu tun. Die Konzessionsbereitschaft der Leute hat einfach zugenommen, ihre Bereitschaft, Überstunden zu machen und zu wirklich niedrigen Löhnen zu arbeiten. Das ist nun ein Trend, den wir nicht wollen können. Außerdem gibt es Arbeit, die heute immer noch manuell erledigt wird, aber nach Stand der Technik längst vollautomatisch ablaufen könnte, zum Beispiel Abfalltrennung. Das machen immer noch Leute in großen Hallen unter unsäglichem Gestank und es wäre mit biomechanischen Abfallanlagen komplett maschinell zu erledigen. Die Umstellung hat nicht stattgefunden, weil es einfach Leute gibt, die auf diese Hungerlöhne angewiesen sind. Man kann nicht wollen, dass solche Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Göring-Eckardt: Da würde ich sofort zustimmen, in meinem Beispiel ging es aber gerade nicht um Hungerlöhne und schlechte Arbeitsbedingungen sondern um Bereiche, wo wir weit über Mindestlöhnen liegen und wo die Arbeitgeber nicht aus Menschenfreundlichkeit sondern aus ökonomischen Gründen auf eine andere Unternehmensphilosophie umstellen.
polar: Die Grünen diskutieren eine Relativierung der Arbeitsgesellschaft und das Grundeinkommen schon länger; warum ist das Thema für die Linke schwierig?
Kipping: Als ich das 2003 zum ersten Mal angesprochen habe, wollte man mich am liebsten teeren und federn. Man hat mich nicht deswegen, sondern eher trotzdem gewählt, in der Hoffnung, dass ich mir da rasch die Hörner abstoßen würde. Dann hat es aber einen unglaublichen Aufschwung gegeben, wir haben eine bundesweite Arbeitsgemeinschaft dazu gegründet und die Zahl der Leute, die sich erst geheim und dann auch öffentlich dazu bekennen, nimmt zu. Im Zuge der Parteineubildung hat das noch mal einen gewissen Rückschlag bekommen. Wenn zwei Parteien zusammengehen, wird erst mal das in den Mittelpunkt gestellt, was man gemein hat. Es ist auch eine eklatante Fehleinschätzung der Gewerkschaften, dass sich ihre Funktionäre so dagegen aussprechen. Im Netzwerk Grundeinkommen haben wir einen überproportional hohen Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern. Schließlich würde die Verhandlungsposition der Beschäftigten durch ein Grundeinkommen deutlich gestärkt. Die Reservearmee der Erwerbslosen wirkt disziplinierend auf die, die noch einen Job haben. Und je schlimmer die Situation der Erwerbslosen, desto leichter sind Beschäftigte zu erpressen. Das war nach der Einführung von Hartz IV deutlich zu beobachten. Das Grundeinkommen ist die konsequente Abkehr von dem Repressionssystem Hartz IV.
Göring-Eckardt: Das Arbeitslosengeld II hat viele Schwächen, eine Reihe davon haben wir Grüne von Anfang an kritisiert, besonders wegen der Veränderungen, die der Bundesrat vorgenommen hat. Dennoch hat es dazu geführt, dass viel verdeckte Armut ans Licht kam. Das ist nach wie vor richtig, auch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Empfänglichkeit für Grundeinkommensmodelle ist auch eine Frage des Verständnisses davon, was man Menschen zutraut. Bei den Gewerkschaften, auch bei der SPD, kann man beobachten, dass der Staat verantwortlich dafür sein soll, was man in welcher Lebensphase zu tun hat. Bei uns gibt es die gegenteilige Tendenz. Die Grünen wollen ein sehr hohes Maß an Selbstbestimmung und Freiheit, weswegen auch die Grundeinkommensdebatte bei uns so stark verfängt. Auch bei denen, die ein solches Modell für falsch halten, geht es darum, die freiheitlichen Momente der Grundeinkommensphilosophie in alternative Modelle einzubauen. Ich habe mit vielen Gewerkschaftlern diskutiert und deren Staatsverständnis kritisiert, bin allerdings trotzdem vehement für eine Grundsicherung und nicht für ein Grundeinkommen.
polar: Die Grundsicherung hält an der Bedarfsprüfung und dem Ziel der Integration in das Arbeitsleben fest. Grundeinkommensmodelle stellen es den Einzelnen anheim, ob soziale Teilhabe in Erwerbsarbeit gesucht wird.
Göring-Eckardt: Beim Grundeinkommen verweigert der Staat jede Kommunikation. Er gibt erst mal jeder und jedem das gleiche Geld und nivelliert die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, mit denen die Menschen ins Leben treten. Man muss jedem Modell von bedingungslosem Grundeinkommen die Frage stellen, ob es sich nicht von weiterer Verantwortung für die Einzelnen und ihre unterschiedlichen Lagen freikauft. An welcher Stelle sollen Staat und Bürger in Verbindung treten, so dass man herausfinden kann, was es für Hilfebedürfnisse und Notwendigkeiten gibt? In allen Grundeinkommensmodellen ist das am Ende das Finanzamt. Der Verantwortung des Staates für die Chancen des Einzelnen, insbesondere für diejenigen, die diese Chancen nicht von Hause aus mitbekommen haben, wird das nicht gerecht.
Kipping: Gerade wenn man die unterschiedlichen Voraussetzungen der Menschen in Rechnung stellt, ist die Bedürftigkeitsprüfung problematisch. Bei einer solchen Prüfung sind gerade diejenigen, die am dringendsten auf das Geld angewiesen sind, am wenigsten in der Lage, sich durchzusetzen. Die Bessergestellten und Gebildeteren haben eher noch die kommunikativen Kompetenzen, sich auf dem Amt durchzusetzen. Ein Grundeinkommen wäre nicht nur für die Mittelschicht, für Künstler und Solo-Selbständige ein Gewinn, sondern vor allem auch für die Menschen, die heute die Repressionen erleben. Ich habe auf vielen Veranstaltungen Langzeiterwerbslose erlebt, die immer wieder einen Wunsch artikulieren: Sie möchten nicht einfach nur mehr Geld, sie möchten dass ihr Status geändert wird, dass in Rechnung gestellt wird, dass die Gesellschaft womöglich keinen Arbeitsplatz für sie hat und sie deshalb nicht weniger wert sind. Ein Grundeinkommen kann diese Probleme nicht alleine lösen. Seine Einführung muss durch einen neuen Bildungsansatz flankiert werden. Solange Menschen im Bildungssystem nur auf das Funktionieren in Arbeit getrimmt werden, haben viele tatsächlich ein Problem mit der Befreiung von Erwerbsarbeit. Wenn man von klein auf motiviert wird, dem eigenen Leben Sinn und Bewandtnis zu geben, aus sich heraus etwas zu tun, der Gesellschaft zu nutzen mit den eigenen Fähigkeiten, dann können die Leute auch ganz anders mit dieser Freiheit umgehen.
Göring-Eckardt: Ich denke auch, dass wir eine Bildungsrevolution brauchen, aber eher um Chancengerechtigkeit herzustellen und auszugleichen, was es an Unterschieden in den Elternhäusern so gibt. Ich glaube aber nicht – vielleicht weil ich doch ein paar Jahre länger in der DDR gelebt habe –, dass das Bildungssystem die Menschen umerziehen sollte. Es sollte neben der Wissensvermittlung Lebensmöglichkeiten aufzeigen, Freiheit lehren und Chancengerechtigkeit vorantreiben. Aber ich will nicht, dass es zu irgendeinem Menschenbild erzieht.
Kipping: Jetzt wird mir aber das Wort im Munde rumgedreht. Es geht ja in dem neuen Bildungsansatz, wie ihn auch Wolfgang Engler in »Bürger, ohne Arbeit« beschreibt, nicht darum, die Menschen zu indoktrinieren, sondern gerade darum, sich von der heutigen Indoktrinierung – »Du bist nur dann was wert, wenn du es auf dem Arbeitsmarkt schaffst« – zu befreien.
Göring-Eckardt: …in welcher Schule findet das denn bitte statt?
Kipping: Aber natürlich ist Schule heute vor allem auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet! Der neue Bildungsansatz dagegen soll den Einzelnen inspirieren, anstiften, anregen. Welche Form der Tätigkeit dann gewählt wird, steht frei. Das ist das Gegenteil von Indoktrination!
Göring-Eckardt: In der Grundeinkommensdebatte steht ein bestimmtes Menschenbild im Hintergrund, das höre ich ganz oft. Wenn die Leute nur gut genug erzogen sind, dann werden sie ohne Arbeit leben wollen und können. Ich sage, es wird Leute geben, die das wollen, und es wird andere geben, die sagen, ich will nicht immer wollen müssen.
Kipping: Natürlich ist der Mensch ambivalent veranlagt. Ich glaube aber, dass ein gesellschaftliches Umfeld Einfluss darauf hat, was sich entwickelt. Eine Gesellschaft sollte es aushalten, dass einzelne Leute die Exit-Option wählen. Das hält sie ja schon aus. Wer eine Million geerbt hat, hat schon heute die Freiheit, nicht zu arbeiten. Den Arbeitsdruck üben wir nicht kollektiv auf alle aus, sondern immer nur auf diejenigen, die wenig bis gar nichts haben. Entweder man hält Faulheit für eine so große Sünde, dass man sie bei allen verhindern will, oder aber es gibt die Freiheit sich zu entscheiden, dann aber für alle. Im Übrigen gibt es bereits in dieser Gesellschaft ein stark ausgeprägtes Interesse, sich einzubringen und selbsttätig zu werden. Das zeigen ja die vielen ehrenamtlich Tätigen.
Göring-Eckardt: …die vor allem diejenigen sind, die auch reguläre Jobs haben…
Kipping: …das stimmt nicht mehr ganz. Laut dem letzten Ehrenamtsbericht sind zwar 40 Prozent der Beschäftigten ehrenamtlich tätig und nur 27 Prozent der Erwerbslosen, doch es hat in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme des ehrenamtlichen Engagements von Erwerbslosen gegeben. Oft liegt deren schwächeres Engagement übrigens schlicht an Geldmangel.
Göring-Eckardt: Klar, trotzdem gibt es noch eine Korrelation zwischen Bestätigung in Arbeit und Ehrenamt. Ich würde mir sehr wünschen, dass gerade Langzeitarbeitslose noch mehr Bestätigung in Ehrenämtern finden. Wir unterstützen das ja auch im heutigen System schon. All das rechtfertigt für mich nicht ein Grundeinkommen. Das Grundeinkommen riskiert die Akzeptanz unseres Sozialsystems. Um die Bereitschaft für Solidarität zu erhalten, muss klar sein, es geht um tatsächlichen Bedarf. Nicht um etwas, von dem man sagt: das kriegen doch alle! Dass es alle kriegen, ist ohnehin nur eine theoretische Größe, denn irgendjemand muss es ja auch bezahlen. Die in Deutschland noch immer sehr hohe Akzeptanz für Solidarität würde ich nicht aufgeben wollen für eine riesige Umverteilung, die den Schwächsten nicht wirklich hilft, und nach der für das, was die wirklich brauchen – die bessere Infrastruktur – kein Geld mehr da ist.
Das Gespräch wurde moderiert von Ralph Obermauer.