Zwischen Diskurs, Performance und Installation: Die Dresdner Projektgruppe REINIGUNGSGESELLSCHAFT stellt in ihren Arbeiten Fragen nach Wirklichkeit und Perspektiven der Arbeitsgesellschaft und setzt auf Kooperationen mit Wirtschaft, Wissenschaft und anderen Künstlern. Die beiden Männer im Bild wirken sehr beschäftigt. Sie stecken in blauer Arbeitskleidung und sind mit Leiter und Akkubohrer bewaffnet. Auf ihrem Weg durch ein leicht marodes Altbauviertel montieren sie an Kreuzungen zusätzliche Straßenschilder, die sich von der herkömmlichen Beschilderung kaum unterscheiden. Allein die Straßennamen sind ungewöhnlich: »Straße des unbekannten Arbeitslosen« ist da zu lesen oder »Motivationsstraße«, aber auch »Straße des emanzipierten Steuerzahlers«.
Vorübergehende Passanten kommentieren die Umbenennungsaktion. Nicht immer reagieren sie zustimmend: »Eine Straße, die ›Verlustzone‹ heißt? Da müssen Sie andere Straßen suchen, die wirklich Verlustzonen sind«, sagt ein Mann mürrisch. Auch von der Bezeichnung »Straße der Schattenwirtschaft« hält er wenig. »Da können Sie nach Berlin fahren, und dann machen Sie das vors Kanzleramt. Da lohnt sich das.«
Die beiden Straßenarbeiter heißen Martin Keil und Henrik Mayer und sind die Gründer der Dresdner Projektgruppe REINIGUNGSGESELLSCHAFT. Ihr Film »The City of Cool« dokumentiert eine Aktion im ehemaligen Arbeiter- und Industrieviertel Plagwitz am Leipziger Stadtrand. »Ein Stadtteil auf Identitätssuche« lautet der Untertitel des Projekts aus dem Sommer des Jahres 2005, das Teil des Festivals »Westend 05 - Know Your Rights« war.
Aktionen wie diese stellen nur einen kleinen Ausschnitt der Aktivitäten der REINIGUNGSGESELLSCHAFT dar. Ein Großteil ihrer Arbeiten entsteht in Kooperation mit so unterschiedlichen Partnern wie mittelständischen Unternehmen, universitären Forschungsinstituten oder der Fraunhofer-Gesellschaft. Stets widmen sie sich dabei Fragen, die um die Themenfelder Arbeit und Demokratie kreisen.
Das Potential der Putzkraft
Als Martin Keil und Henrik Mayer die REINIGUNGSGESELLSCHAFT im Jahr 1996 in einer stillgelegten Wäscherei gründeten, studierten sie noch an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Sie reagierten damit auf Defizite der künstlerischen Ausbildung. »Wir sahen einen eklatanten Konflikt: eine einseitige Ausbildung für den Kunstmarkt, der nur ca. fünf Prozent der Absolventen eine finanzielle Überlebensgrundlage bietet«, beschreibt Martin Keil die damaligen Beweggründe. So begannen sie, sich auf eigene Initiative mit diesen Fragen zu befassen, und veranstalteten Ausstellungen, Vorträge und Performances, die sich an ein breites Publikum richteten.
Der Name REINIGUNGSGESELLSCHAFT wurde in programmatischer Absicht gewählt. »Wir verstehen Reinigung als einen Prozess der Erneuerung und sehen daher im Bereich Kunst Potentiale für einen kritischen und ästhetischen Transfer in andere gesellschaftliche Bereiche«, so Martin Keil. Diesem Anspruch trägt die Selbstbeschreibung »Labor im Denkraum Kunst an der Schnittstelle zu anderen gesellschaftlichen Bereichen« Rechnung. Mit dem Namen REINIGUNGSGESELLSCHAFT solle zudem die Autorschaft aufgelöst werden, um alle beteiligten Akteure mit einbeziehen zu können.
Die kooperative Arbeitsweise ist denn auch ein entscheidender Aspekt der künstlerischen Strategie der REINIGUNGSGESELLSCHAFT. Zu Beginn eines Projekts sei das mögliche Ergebnis völlig offen, daher würden alle Beteiligten in einem »Lernprozess« in die Gestaltung eingebunden, ohne bestimmte Zielvorgaben zu bekommen. »Als Künstler ist es für uns sekundär, wie und wodurch sich das Ergebnis materialisiert. Für uns ist es wichtig, in kooperativen Strukturen zu arbeiten, es ermöglicht uns weitgehende Unabhängigkeit und einen breiten Aktionsradius.«
»The Social Engine – Exploring Flexibility« zum Beispiel entstand in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Künstler Miklós Erhardt im Rahmen des deutschungarischen Kulturprojekts Bipolar. Für das von der Bundeskulturstiftung geförderte Forschungs- und Ausstellungsprojekt wurden Arbeitgeber wie Arbeitnehmer in Videointerviews zu den Auswirkungen flexibler Arbeitskonzepte auf Arbeitsbedingungen und Lebensperspektive befragt. Der verwendete Fragenkatalog wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeitspsychologie der TU Dresden entwickelt. Die Grenzen zwischen Videoinstallation, Dokumentation und Forschung sind dabei fließend. Die Reinigungsgesellschaft operiert mit einem »kognitiven Kunstbegriff«, der auch dieser Arbeit zugrunde liegt. Vorrangige Ziele sind die Wissensgewinnung und eine veränderte Perspektive auf gesellschaftliche Fragen. Ein parallel dazu entstandenes Buch vereint unter anderem Aufsätze von Guillaume Paoli, dem Gründer der Glücklichen Arbeitslosen, dem Kunsttheoretiker Brian Holmes und dem Arbeitspsychologen Peter Richter.
Der wissenschaftliche Diskurs ist für die Aktivitäten der REINIGUNGSGESELLSCHAFT von zentraler Bedeutung: »Wir sehen die Widersprüche einer Gesellschaft im Strukturwandel als Ausgangspunkt und Motivation unserer Arbeit.« In Zusammenarbeit mit dem Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Universität Linz entstand die Rauminstallation »Keep Fit For The Jobmarket«. Die Arbeit dokumentiert neue Erwerbs- und Arbeitsformen wie das Phänomen der »ArbeitskraftunternehmerInnen«, d.h. Arbeitskräfte, die ihre Tätigkeit wie selbständige Unternehmer vermarkten. Videofilme zeigen Reinigungskräfte, die Rolltreppen in Kaufhäusern wischen, die Betrachter aktivieren die Monitore über gekoppelte Ergometer. An den Wänden stehen Schlagworte wie »mobil und flexibel« oder »Lohndumping«.
Martin Keil und Henrik Mayer, die zusätzlich zu ihrer künstlerischen Ausbildung Kulturmanagement studiert haben, bieten überdies Seminare und Workshops in Unternehmen an und haben unter anderem Lehrveranstaltungen an der UDK Berlin, der New School in New York und der Hochschule für Gestaltung, Zürich, abgehalten. Einer ihrer Workshops war Teil des für den Kasseler Kunstverein entwickelten Projekts »Arbeite mit, plane mit, regiere mit!«, das die offene Arbeitsweise der REINIGUNGSGESELLSCHAFT gut veranschaulicht. In dem Workshop bekamen Mitarbeiter der B. Braun Melsungen AG die Aufgabe gestellt, ihre Wertevorstellungen anhand von Fotografien und Symbolen zunächst zu visualisieren und dann zu artikulieren. Die Mitarbeiter gehörten unterschiedlichen Hierarchieebenen des Unternehmens an. Anschließend wurden die entstandenen Bildmodule in einer Ausstellung präsentiert, die als »Denk- und Reflexionsraum« konzipiert ist und zur weiteren Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des Workshops dient.
Fernziel Gerechtigkeitsstaat
Mittels Kooperationen zwischen Kunst und Wirtschaft möchte die REINIGUNGSGESELLSCHAFT zudem »das Potential spartenübergreifender Zusammenarbeit« ausloten. So sollen in der »Lernwerkstatt Kunst und Wirtschaft« Kooperationsmodelle »jenseits der klassischen Sponsoring- oder Ausstellungsaktivitäten« entwickelt werden, die betriebliche Innovationen durch die Einbeziehung der Künste ermöglichen. Angestrebt ist ein »langfristiger Dialog«.
Dass die Aktivitäten der REINIGUNGSGESELLSCHAFT politisch gemeint sind, liegt auf der Hand. Ihre Ambitionen gehen über eine Analyse bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse jedoch weit hinaus. Die Erkenntnis, die durch ihre Arbeiten und Projekte ermöglicht werden soll, dient der »Schärfung eines kritischen und ganzheitlichen Bewusstseins«, das die Grundlage zu »einer aktiven und nachhaltigen Entwicklung im Sinne von Foucaults Begriff von ›Gouvernementalität‹« bildet, »einem Prozess der Veränderung von Gefügen von Institutionen zu einer ›Gerechtigkeitsgesellschaft‹ durch die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen und Klassen«. In welchem Maß dieser Prozess durch ihre künstlerische Arbeit tatsächlich in Gang gesetzt werden wird, sei dahingestellt. Doch so viel steht fest: Mit ihren Projekten ist die REINIGUNGSGESELLSCHAFT nicht nur Beobachter gesellschaftlicher Transformationsprozesse, sondern aktiv daran beteiligt. Selbst wenn sie lediglich einen Beitrag zur partizipativen Einbeziehung von Künstlern in das Wirtschaftsgeschehen leisten sollte, wäre damit schon viel erreicht.