





polar #19: Krieg und Frieden
EDITORIAL
INTERVENTION
INVENTUR
INTROSPEKTION
SCHÖNHEITEN
Patrick Thor Das höchste Spiel Von der Welt als Western: Cormac McCarthys Blood Meridian Or The Evening Redness in the West
| Christoph Raiser Irre Krieg und Klischee: The Incal von Alejandro Jodorowsky und Moebius
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Robin CelikatesHappy DaysKriegsfolgen und Vatervergötterung: Kenzaburo Ôes The Day He Himself Shall Wipe My Tears Away | Ein junger Mann mit (von den Autoritäten scheinbar nicht anerkanntem) terminalem Leberkrebs liegt in einem Krankenhausbett, trägt eine mit grünem Zellophan beschichtete Taucherbrille und diktiert einem (vermutlich: einer) ab und an interferierenden »acting executor of the will« seine Kindheitserinnerungen aus den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs in der japanischen Provinz. »Happy Days Are Here Again« ist die erste Melodie, die hierzu angestimmt wird. Der andere, gegenläufige Refrain des Textes ist Bachs Kantate »Ich will den Kreuzstab gerne tragen«, der auch der Titel entliehen ist (»Da wischt mir die Tränen mein Heiland selbst ab.«) Die recht unterschiedlichen Arten der nostalgisch gewendeten Hoffnung, die darin zum Ausdruck kommen, zerschellen freilich an der psychischen Realität der japanischen Nachkriegszeit, die neben der kapitulationsinduzierten schockhaften Menschwerdung des Kaisers vor allem durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki auf eine Weise geprägt ist, die jede Nostalgie und Hoffnung als ideologisch entlarvt.
Kenzaburo Ôes »The Day He Himself Shall Wipe My Tears Away« (1972) zeichnet die kriegerische Verquickung von Militarismus, Heroismus, Vatervergötterung und Kaiserverehrung in teils grotesk-übersteigerter Weise nach. Etwa wenn der inzwischen mehr als nur inkontinente Vater, der schlicht als »a certain party« vorkommt, den tödlich endenden Versuch unternimmt, den einen - menschlichen - Körper des Kaisers kurz nach der Aufnahme der Kapitulationsrede zu ermorden, um den anderen - göttlichen - Körper zu retten. Die mitverschworenen Soldaten singen auf der Fahrt die Bachkantate - auf Deutsch, und der Vater erklärt dem Sohn, der Heiland sei in Wahrheit der Kaiser. Den Sohn im Krankenhaus führt diese Erinnerungsarbeit in eine verschärfte Selbstisolation. Er trägt nun neben der Taucherbrille auch noch Kopfhörer, beschallt sich mit der von Fischer-Dieskau eingesungenen Bachkantate und singt dazu Happy Days. Auch eine Kriegsfolge.
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