Kann eine militärische Intervention gerechtfertigt sein, wenn sie allein oder vorrangig den Zweck verfolgt, im angegriffenen Staat einen demokratischen Regimewechsel zu erzwingen? Drei exemplarische Formen eines solchen militärischen Eingreifens hat die Welt in jüngster Vergangenheit erlebt: Bei dem Modell Irak (2003) handelt es sich um eine direkte, nicht erbetene Intervention allein mit eigenen militärischen Mitteln, einschließlich eigener Bodentruppen. (Dieses Modell lasse ich im Folgenden außer Betracht, da die Intervention im Irak nicht nur völkerrechtlich illegal, sondern unter jedem denkbaren Gesichtspunkt der politischen Ethik verwerflich war.) Das Modell Libyen (2011) besteht in der Parteinahme in einem fremden Bürgerkrieg, in dem direkten miltärischen Eingreifen auf Seiten bewaffneter Aufständischer im target state, das mit dem Ziel des Schutzes der dortigen Bevölkerung gegen die Bedrohung durch ein despotisches Gewaltregime zugleich das Ziel eines demokratischen Regimewechsels verfolgt. Das Modell Syrien (seit 2012) besteht in der indirekten Intervention durch Unterstützung eines gewaltsamen Aufstands mit Waffen, aber ohne unmittelbar eigenes militärisches Eingreifen.
I. Modell Libyen
Die Autorisierung der Intervention durch den SR, formell gestützt auf Art. 39 ff. der UN-Charta, nämlich auf die Feststellung einer Bedrohung des Weltfriedens, bezog sich in der Sache auf die Konzeption der sog. Responsibility to Protect (RtoP). Das ist keine geltende Norm des Völkerrechts, wohl aber ein sich entwickelndes Prinzip, das der Weltgemeinschaft eine Verpflichtung zum Schutz einzelstaatlicher Bevölkerungsgruppen vor schweren Menschenrechtsverletzungen durch ihre eigenen Regierungen nahelegt. Seit seiner erstmaligen Formulierung 2001 im »Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty« hat es in verschiedenen Dokumenten von UN-Organen Erwähnung gefunden. Der SR nennt es erstmals in seiner Resolution 1674 vom 28. April 2006; auch in der Libyen-Resolution 1973 taucht es auf.
Danach hat jeder Staat vor der internationalen Gemeinschaft eine dual responsibility: die souveränen Rechte anderer Staaten zu respektieren, aber ebenso Rechte und Würde der eigenen Bevölkerung. Das ist seit Thomas Hobbes in der abendländischen Staatsphilosophie geläufig. Aufschlussreich ist erst die genauere Spezifizierung, exemplarisch festgehalten im Ergebnis des World Summit der Vereinten Nationen vom September 2005: Jeder Staat, heißt es dort, hat die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen vor Genozid, Kriegs- und Bürgerkriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnischen Säuberungen. Das ist der Katalog der vier Grundformen völkerrechtlicher Verbrechen, die in den Art. 6 bis 8 des Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) formuliert werden. Sollten die Organe eines Staates, so fährt der World Summit Outcome fort, in der Erfüllung dieser Schutzpflicht »manifest versagen« und »friedliche Mittel keine Abhilfe schaffen«, komme auch ein gewaltsames Eingreifen von außen in Frage, wenngleich allein nach Maßgabe der Art. 39 ff. der UN-Charta, also durch das Nadelöhr des Weltsicherheitsrats. [...]