polar #19: Krieg und Frieden
EDITORIAL
Peter Siller/Bertram LomfeldEditorial | Liebe Leserin, Lieber Leser,
der Krieg war nie weg. Aber mit Blick auf die zahlreichen neuen Kriege und Kriegsgefahren ist er plötzlich wieder sehr nah. 30 Jahre nach dem Abflauen der Friedensbewegung in der damaligen Blockkonfrontation, stellen sich zahlreiche Fragen neu: Wie umgehen mit der neuen Gewalt? Welche Einmischung ist gefragt?M it welchen Zielen? Mit welchen Mitteln? Um welchen Preis?
polar nimmt sich dieser Fragen in dem vorliegenden Heft an. Dabei befassen wir uns nochmals mit dem grundsätzlichen Verhältnis von Menschenrechten, Demokratie und Gewaltanwendung. Gleichzeitig suchen wir die Orte auf, an denen der Krieg herrscht, fragen nach der Situation der Betroffenen, nach Ursachen und Antworten.
Dabei geht es auch um eine Reflexion auf Konstellationen, Bündnisse und Allianzen: Wie steht es um »den Westen«, seine Gestaltungsmöglichkeiten, seine Überzeugungskraft? Wie um Europa als »Friedensprojekt«? Diskutieren lassen sich diese Fragen nicht ohne die Einbeziehung der historischen Erfahrungen – 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung. »Krieg und Frieden«: polar widmet sich in der 19. Ausgabe einem brennenden Thema unserer Zeit, aus den verschiedensten Perspektiven, kontrovers, grundsätzlich – und ganz konkret.
polar sucht die Kontroverse: In seinem Eröffnungsbeitrag fragt Wilfried Hinsch nach der moralischen Verpflichtung zur militärischen Intervention. Er argumentiert, dass eine humanitäre Intervention ethisch gerechtfertigt ist, wenn grundlegende Menschenrechte systematisch verletzt werden und die Angriffe von einer Regierung ausgehen oder geduldet werden (S. 9). Reinhard Merkel kommt hingegen an den Beispielen Libyen und Syrien zu einer deutlich skeptischeren Antwort (S. 17). Die völkerrechtliche Dimension der Interventionsfrage beleuchtet im Anschluss Mattias Kumm (S. 25). Heinrich August Winkler fragt in seinem Text nach der internationalen Verantwortung des vereinigten Deutschlands in der neuen globalen (Un-)Ordnung (S. 33). Anna Geis nimmt die Frage nach dem inneren Zusammenhang von Demokratie und Frieden auf. Sie beschreibt, wie Demokratien den Einsatz von Militär rechtfertigen und versucht Kriterien bezüglich des Rechts zum Krieg und des Rechts im Krieg zu benennen (S. 43). Die kriegerischen Konsequenzen des Klimawandels beleuchtet Pierre Thielbörger in seinem Text und beschreibt dabei die besondere Rolle des Sicherheitsrates (S. 49). Thorsten Thiel widmet sich der Angst vor dem Krieg aus dem Netz. Hier stellen sich zahlreiche bislang unbeantwortete Fragen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie (S. 55).
polar sucht die Orte des Krieges auf: Durch das gesamte Heft zieht sich eine Serie von Reportagen von Khales Jouma über das Sterben und Leben in Mosul, die im Laufe des ersten Jahres unter der Herrschaft des »Kalifats« entstand. Rebecca Harms nimmt uns in ihrem Bericht mit auf eine Reise in die Ukraine. In Minsk und auf dem Lande diskutiert sie mit den Menschen die drängenden Fragen zwischen Kriegszustand und gesellschaftlichem Aufbruch (S.73). Dem postsouveränen Erzählen, das sich mit einer Welt auseinandersetzten muss, in dem die alten Kategorien von Krieg oder Frieden nicht mehr greifen, widmen sich Matthias Schaffrick, Thomas Weitin und Niels Werber (S. 85). Désirée Kaiser beleuchtet in ihrem Beitrag die besondere Funktion von Feldpostbriefen. Als Scharnier zwischen zwei Welten – Krieg und Liebe – überlebte die Feldpost bislang alle Widrigkeiten von Zensur über Friedenszeiten bis zu neuen Medien (S. 94). Thomas Kleinheinrich ermöglicht uns fragmentarisch Einblicke in das Leben derer, die als SoldatInnen den Krieg mit nach Hause bringen und ihn nicht mehr loswerden (S. 101). Anja Seiler porträtiert in ihrem Beitrag zwei Männer aus Afghanistan, die es nach einer gefährlichen und langen Flucht bis in die Bundesrepublik geschafft haben – jedoch nicht beide bleiben dürfen (S. 107). Über den Alltag im Ausnahmezustand des Krieges berichtet Julia Roth in ihrer Reportage aus Israel. (S. 113). Maja Bächler geht der Frage nach, in wieweit die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht sich auf das Zusammenspiel von Militär, Politik und Gesellschaft auswirkt (S. 121). Anna-Catharina Gebbers setzt sich mit den Situation Rooms des Theaterkollektivs Rimini Protokoll auseinander, die uns durch die medialen Brillen schauen lassen, durch die der Krieg öffentlich wird (S. 127).
polar sucht die politische Kraft der Kunst: Der Regisseur Milo Rau hat in Bukavu ein »Kongo Tribunal« organisiert um die Gründe des Krieges, der Unsicherheit und der Armut im Ostkongo zu untersuchen. Wir dokumentieren seine Eröffnungsrede (S. 145), kommentiert von Bertram Lomfeld (S. 150). Anhand der beiden Urtexte König Ödipus und Antigone von Sophokles, dem Inbegriff der abendländischen Tragödie, untersuchen John von Düffel und Malin Nagel das Verhältnis von Krieg und Theater (S. 157). Die uns allen wohlbekannte Biene Maja wird schließlich von Berrnhard Viel ihrer niedlichen Unschuld beraubt und entpuppt sich als Protagonistin eines militärisch bestens organisierten Staatswesens (S. 162).
Unser Dank gilt schließlich Michael Majerus, Björn Melhus, Tobias Rehberger und Paola Yacoub, die mit ihren künstlerischen Beiträgen eigenständige Perspektiven auf die Fragen von Krieg und Frieden eröffnen.
Für die Redaktion Peter Siller, Bertram Lomfeld
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