Hofnarr der Revolution, Intrigant und Strippenzieher, eiskalter Zyni¬ker, tragische Figur zwischen Standhaftigkeit und Opportunismus, einer der genialsten Diplomaten des frühen 20. Jahrhunderts, Schlüsselfigur der modernen Politik – Verachtung und Hochachtung verschlingen sich untrennbar in den Charakterisierungen des jüdisch-polnisch-österreichisch-russischen Revolutionärs Karl Radek. Man kann es auch nüchtern ausdrücken: Radek war Journalist.Als der alte Stefan Heym 1995 mit »Radek« seinen letzten großen Roman vorlegte, war die Reaktion verhalten. Karl Bernhardowitsch Radek, geborener Sobelsohn, ist ein Schreckgespenst des Bolschewismus: kein Volkstribun, kein Theoretiker, keine graue Bürokratenmaus, sondern tatsächlich: ein Strippenzieher, unvorhergesehen aus der zweiten Reihe agierend, eigentümlich heimatlos. Wäre Heym nicht der bekannte ostdeutsche Dissidenz-Literat gewesen, man hätte das Buch wohl kaum veröffentlicht. Für ihn steht außer Frage, dass Radek aus Notwendigkeit handelt – selbst wenn er sich am Ende aufs schmählichste Stalin unterwirft. Wer Heym als Moralisten in Erinnerung hat, sieht sich hier getäuscht. Er tritt nicht gegen die Projektionen an, um den »Menschen Karl Radek« zu retten. Einzig das beständige antisemitische Ressentiment gegen Radek lässt er den Leser spüren.
Übrigens ist Radek, dieser vermeintlich große Revolutionär, nie »dabei«. Mal kommt er zu spät, mal überhaupt nicht. Er sitzt im Knast oder abgeschnitten im Schweizer Exil. Um ihn herum sind die Genossen inkompetent, und wer es nicht ist, wird von deutschen Freikorps-Truppen abgeschlachtet – oder von Stalin. Freundschaften haben keine Chance, sich gegen die widrigen Zeitläufte zu behaupten, im Gegenteil. Dargestellt wird die Zersetzung menschlicher Bindungen bis zur Isolation des Kommunisten Radek. Heym inszeniert ein Kammerdrama, der Revolutionär verbringt seine Zeit in geschlossenen Räumen. Und redet, redet, redet. Immer vergeblich. Karl Radek wurde vermutlich 1939 im Alter von 54 Jahren in einem Gulag erschlagen.
Stefan Heym, Radek, 569 Seiten, btb Verlag, Berlin 2005, 10 Euro