»Tatsache auch, vielleicht verblüffend für manche Rezensenten: Es gibt Freundschaften zwischen Frauen und Männern, sogar politische.« So schließt Jutta Ditfurths Erwiderung auf die Spiegelrezension zu ihrem Buch »Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft«. Diese Freundschaft gab es nicht, hatte der Rezensent behauptet, Meinhof wollte Dutschke nur flachlegen. Keine Freundschaftsgeschichte also, eine short sex story: Verführungsversuch der Terroristin, Standhaftigkeit des Christen, Aufatmen Gretels – kein Ehebruch, sondern Treue, Happy End. Sexistische Phantasien gibt es als ready made. Das ist Ditfurths treffende Antwort, die aber selbst Fragen aufwirft. Neben der überdrüssigen, wer noch mal diese so genannten Männer und Frauen sind, noch die, ob es Freundschaft nur ohne Sex gibt und die, was denn politische Freundschaft ist, wenn nicht Freundschaft von Politischen. Oder was das Politische der Freundschaft ist?
In der Politik, das heißt jetzt der bürgerlich-spektakulären, tritt Freundschaft erstens als instrumentelle auf. Als vor der Kamera einander schüttelnde, hinter der Kulisse einander waschende Hände. Aber in der Politik tritt Freundschaft zweitens als Schlagzeile auf. Als Korruptionsskandal. Irgendein Politiker hatte einen Posten zu vergeben oder ein Anwesen. Doch statt alle gleich zu behandeln und nur nach Qualifikation, hat er einige bevorzugt behandelt, vielleicht nach Sympathie. Da hört die Freundschaft aber auf, ruft die öffentliche Anklage. Das ist Klüngel, Patronage, Clanbildung inmitten des Staates. Vielleicht. Vielleicht war das Objekt der Bevorzugung aber gar keine Verwandte, vielleicht – es klingt verwegen – hatte der Politiker einfach einen Freund. Nicht Vetternwirtschaft also, sondern Freundelwirtschaft (Wien). Das wäre der Stoff für ein Update von Antigone – entlassen aus den Banden der Familie, nicht aber aus denen des Staates. Zerrissen zwischen zwei Gerechtigkeiten: Der abstrakten des Staates, die alle Individuen gleich behandelt, austauschbar und nur nach Eignung zu hierarchisieren. Der konkreten der Freundin, die verlangt, gerade nicht wie alle behandelt zu werden, sondern anders, nicht nett im Allgemeinen, sondern besonders. Hidden story der Freundschaft, tragisch, die erzählt werden könnte – wären nicht zu viele romantische Energien in der (hetero) Lovestory gebunden. Geschichte der Liebe, der vor allem das Privileg zugestanden wird, auch mal eine Grenze zu überqueren (Stand usw., zuweilen auch Geschlecht). Befreundet sind, sagt eine Freundin, das Kinoprogramm meinend, vor allem Tiere und Kinder. Von den letzteren hören die einen damit auf, wenn sie Jungen werden (und Zärtlichkeiten also zu Schwulitäten), die anderen wenn sie einen festen Freund fangen, und die beste Freundin zur Flirt- und Krisenhilfe wird. Nur die, auf die beides nicht zutrifft, erschaffen weiter Freundschaften, wo andere Familien gründen (bleiben, wie J. Jack Halberstam sagt, Adoleszente).
Verwandte Freunde? Aber bleibt die Freundschaft mit der Familie nicht verwandt? Das ist Derrida, der fragt (in Politik der Freundschaft). Und er fragt nicht, weil er an queer kinship denkt, sondern daran, dass die Freundschaft, die beansprucht, es nur mit Singularität, mit Qualitäten zu tun zu haben, doch eine notwendige Beziehung zur »Quantifikation singulärer Einzelner« unterhält. Denn – das sagen die Philosophen, die Derrida liest – es können ja nicht alle Freunde sein, sondern nur einige, besondere, vielleicht nur einer, der beste. Die begrenzte Freundschaft zieht somit Grenzen, bringt Menschen einander nahe, aber trennt sie auch – die Freunde von den Feinden zum Beispiel, oder auch von den Anderen. Und eine Politik der Freundschaft, die sich so am Modell der Seelen-Verwandtschaft orientiert, gehört einer »familiären, fraternalistischen und also androzentrischen Konfiguration des Politischen« an. Eine Konfiguration, in der der Freund zur Figur des Bruders wird, die Frau zur Figur der Schwester, die Schwester wieder zur Figur des Bruders. Gegen diesen Ableitungswust des Abstammungs- und Identitätsprinzips, fordert Derrida zum Träumen auf: »Träumen wir von einer Freundschaft, die über die Nähe des gleichartigen und gleichgeschlechtlichen Doppels hinausginge.« Derrida, der über Freundschaft nur mit Männern spricht, fordert also auf, von der Freundschaft zur Frau zu träumen. Frau ohne Anführungszeichen in dem Fall, also ohne die »neutralisierenden« diskursiven Regime von Philosophie/Freundschaft, in denen »Frauen« zwar vielleicht als Subjekte auftreten, aber eben schon als Figuren des Bruders usw. – und nicht als Figuren des Anderen. Ist es nötig, darauf hinzuweisen, dass von diesem »wir«, das von einem Jenseits des gleichgeschlechtlichen Doppels träumt, die ausgeschlossen sind, von denen geträumt wird (so genannte Frauen)? Und von anderen (Lesben, Transen), die sich diesseits davon befreunden, noch nicht mal – zweifelhaftes Glück – in ihrem Namen gesprochen wird? Als läge gerade eine sehr begrenzte »Geschlechterdifferenz« außerhalb des Familiarismus und nicht vielmehr mittendrin (Lévi-Strauss & Co, hallo?). Vor allem aber soll in diesem Traum nicht der Anklang einer allzu bekannten Anklage überlesen werden: Der Ausschluss der Anderen in einer Kultur der Gleichen konstituiere sich durch eine subtile Homosexualität. Durch subtilen – oder manifesten Sex antiker Männer.
Institution Sex
Aber das Verhältnis von Gleichheit und Sex, von Homosex und Freundschaft ist genau andersrum, antwortet Foucault (im Gespräch mit Mumia Abou-Jamal). Derrida hatte Aristoteles’ Diskurs dekonstruiert an dessen Privilegierung des Liebens gegenüber dem Geliebt-Werden (Vorbild der Mutter, die ihr Kind weg gibt), die die Ideale von Präsenz und Gleichheit unterläuft. Foucault stößt auf dasselbe Problem am Beispiel des Vögelns von Männern – von dem Derrida beredt schweigt – und stellt fest, das Vögeln selbst ist das Problem der (antiken) Freundschaft. Denn die Beziehung zwischen »Mann« und »Knaben« wird von derselben Logik der Subordination geregelt wie die Beziehung zwischen »Mann« und »Frau«: Nur in der ununumkehrbaren Hierarchie von Aktivität und Passivität ist sie erlaubt. Eine Hierarchie, die immer verwunderlich bleibt (und beim Blasen auch schnell vergessen wird) in einer Gesellschaft der Bürgerphilosophen, die kontemplativ auf der Aktivität der ausgebeuteten Klassen ruhen. Für die antike Freundschaft der Gleichen bezeichnet die Sexualität die Gefahr des Eindringens gesellschaftlicher Herrschaft. Eine Gefahr, mit der sich durch verschiedene historische Emanzipationsbewegungen hindurch auch die Hetero-Liebe (Ehe/ Bordell) konfrontiert sehen wird. Aber für die modernen hierarchischen Institutionen wird die egalitäre Freundschaft selbst zur Gefahr und die Konstruktion der Homosexualität zum Mittel, sie zu zerschlagen. Das ist es, was Foucault in dem historischen Moment erkennt, als die disziplinierenden Institutionen die politischen und ökonomischen Funktionen der Freundschaft übernehmen: »So lange Freundschaft gesellschaftlich wichtig war, war völlig unwichtig, ob Männer miteinander vögelten oder sich küssten.« Sobald aber die Freundschaft den Loyalitätsanspruch der Institution bedroht, wird »zumindest in der männlichen Gesellschaft« der Homosex zum Problem – und dessen Lösung. »Das Verschwinden von Freundschaft als soziale Beziehung und die Erklärung von Homosexualität zu einem politischen/medizinischen Problem sind derselbe Prozess«, denn die Konstruktion der Homosexualität ermöglicht einen kontrollierenden Zugriff auf die Beziehungen der zu disziplinierenden Knaben. Erst auf den Trümmern der vom Homosexualitätsverbot zerschlagenen Freundschaft errichtet sich der Männerbund. Denn erst die verbotene und verschwiegen verlangte Homosexualität fügt sich in die maskulinistisch militärische Institution wieder ein: als Kameradschaft.
Kameradschaft und Supervision
Von hier aus lässt sich die heterosexistische Frage, auf die Ditfurths Kritik antwortet, die aber auch die Frage Derridas ist, umformulieren: Kann es Freundschaften geben zwischen heterosexuellen Männern? Es wäre dann Funny van Dannen, der die melancholische Antwort gäbe: »Freundinnen müsste man sein/dann könnte man über alles reden.« Aber die weibliche Freundschaft, von der Foucault wenig spricht, ist innerhalb der heterosexistischen Arbeitsteilung selbst integriert – als ständiges Beratungsgespräch für das Hetero-Paar und seine Familie. Das politische Potential der Freundschaft wird gleichzeitig eingehegt durch die Konstruktion der (männlichichen) Homosexualität und durch die Formation der (hetero) Liebe, die die Gefahr von Loyalität durch sexuelle Intimität auf die Privatsphäre der Zwei beschränkt und sie als Ehe in die staatliche Ordnung überführt. Zweimal wird die Freundinnenschaft funktionalisiert: als männliche Kameradschaft (Staat) und als weibliche Supervision der heterosexuellen Partnerschaft (Familie). Zweimal wird sie zum Verschwinden gebracht: zwischen staatlicher Öffentlichkeit/ Familie und zwischen Single/Paar. Wer keine Angehörigen vorzuweisen hat, darf im Zeuginnenstand nicht die Aussage verweigern, bleibt im Krankenbett alleine, wer nicht die Langweilspielplatte der Paarbeziehung runterleiern kann, ist mit der Notwendigkeit eines logischen Schlusses eine Single. Aber setzt die Freundschaft nicht doch Präsenz voraus, fragt beharrlich Derrida? Nur so lange unsere Beziehungen auf in Geld und Recht materialisiertem Misstrauen beruhen, antworten die besten Freunde Marx & Engels. Könnte für jemanden zu produzieren, den wir nicht kennen, nicht etwas sehr Freundschaftliches sein? Community without unity eben. Denn es ist auf der anderen Seite auch nicht der Sex, der die Freundschaft von der Liebe unterscheidet. Sondern die romantische Regression, die die Privatheit verspricht. Je stabiler die Wände, die um das heimische Glück gezogen sind, umso mehr kann da drin rausgelassen werden – das ist nicht immer schön (Tränen & Schleim & Gewalt z.B.), aber »echt«. Die Frage, warum es sich komisch anfühlen würde, dem Kassierer übers Gesicht zu streicheln, in der U-Bahn zu heulen, die Masturbationsphantasie mit der Nachbarin zu teilen, den Arbeitstalk mit »ich kann nicht mehr« zu eröffnen – kommt der Frage schon recht nah, was alles geändert werden müsste, um etwas kommunistischer zu leben. Es trotzdem zu tun hat etwas von Wahnsinn, schlimmer von Fußball-Nazion-Lüge. Also: Die Angst ist vernünftig, das Misstrauen gerechtfertigt und damit sind es auch die Liebe und das Recht. Homosexuell werden – diese Forderung, die Foucault der Affirmation einer zugewiesenen Identität (x-sexuell sein) entgegensetzt, bedeutet deswegen nichts anderes als die Konstruktion neuer, freundschaftlicher Beziehungen diesseits von Abstammung und Markt. Darüber würden wir heute mehr reden, hätte Foucault nicht die Geschichte des Selbst geschrieben, sondern, wie eigentlich beabsichtigt, die ausstehende Geschichte der Freundschaft.