Wie lautet eigentlich die männliche Entsprechung zum Zickenkrieg? Eben. Unsere Vorstellungen von der friedlichen Kumpel-Koexistenz sind eindeutig geschlechtlich konnotiert. Dabei gibt es jenseits vom »Sex and the City«-Biedermeier gute Ansätze dafür, weibliche Bündnisse zu schmieden.
Gina-Lisa und Sarah rührten und verwirrten. Die beiden Kandidatinnen der Casting-Show »Germany’s Next Topmodel« zeigten offen ihre Mädchenfreundschaft. Dass sich hier gerade in einer extremen Konkurrenzsituation und unter großem Druck zwei Frauen solidarisierten, sorgte für Quote. Für die Zuschauer habe dies einen unvergleichbaren Bindungswert, behauptete der Sozialwissenschaftler und Jugendforscher Klaus Hurrelmann auf SPIEGEL online. Denn diese Freundschaft – im Text als »postfeministischer Freundinnenbund« bezeichnet – sei sehr ungewöhnlich. Normalerweise seien Mädchen Rivalinnen, Gegnerinnen im Zickenkampf.
Freundschaftliche Beziehungen zwischen Frauen waren lange ein wenig erkundetes Feld. Wenn sich die großen Philosophen seit Aristoteles über Freundschaft ausließen, meinten sie explizit Freundschaften zwischen Männern. Montaigne etwa hielt Frauen der Freundschaft nicht fähig – ihnen fehlten die geistigen Fähigkeiten, um mit dem Mann mitzuhalten. Damit übertrug er die künstliche Opposition zwischen Frauen und Männern, die in ihrer sozialen, politischen und kulturellen Realität Hierarchisierungsmechanismen produzierte und verfestigte, auch auf den Bereich der Freundschaft.
Die lange Ära der Male Buddies
Während also die großen Dichter und Denker seit der Antike ihre Männerbünde rühmten, galten Beziehungen unter Frauen als oberflächlicher und instabiler und ihre Freundschaften als von Neid, Missgunst und Eifersucht getrübt. Das heißt nicht, dass es keine Frauenfreundschaften gegeben hätte. Nur wurden sie nicht erzählt, geschweige denn aufgeschrieben. Entsprechend fehlen kulturelle Vorbilder für Freundschaften zwischen Frauen. Historisch bekamen Frauen die Rolle der Bond Girls der großen Männer (und Männerbünde) zugeschrieben. Sie dienten als Anhängsel oder Vergrößerungsglas von Männern. Ihren Beziehungen, die nichts mit Männern zu tun hatten, zollte niemand Interesse. Zudem sind Gruppen mächtiger als Einzelne. So mag es nicht verwundern, dass Frauen darauf trainiert wurden, möglichst großen Profit aus der Ehe zu schlagen und sich gegen alle Konkurrentinnen durchzusetzen. Die enge Bindung an Haus und private Sphäre, die strikte Überwachung und Eingrenzung von Mobilität mag ihr Übriges dazu beigetragen haben, dass die meisten Frauen (zumindest im bürgerlichen Milieu) gar nicht die Möglichkeit hatten, enge Freundschaften zu knüpfen und zu pflegen. (In der BRD konnten Männer ihren Ehefrauen bis 1977 verbieten, arbeiten zu gehen, wenn die ihren »ehelichen Pflichten« nicht nachkamen.) So dominierten Jahrhunderte lang die Buddies Achilleus und Patroklos, Peirithoos und Theseus, Hamlet und Horatio, Laurel und Hardy und Winnetou und Old Shatterhand den Kanon der großen Freundschaftserzählungen. Dann cruisten Thelma und Louise auf die Bildfläche.
Die feministischen Bewegungen hatten zuvor die Bedeutung von strategischen, solidarischen Beziehungen zwischen Frauen hervorgehoben. Das in der zweiten Welle des Feminismus weit verbreitete Konzept der »Sisterhood« konstatierte die vermeintliche Seelenverwandtschaft aller Frauen aufgrund der geteilten Erfahrung der Unterdrückung. Die Interventionen schwarzer und lesbischer Feministinnen machten darauf aufmerksam, dass diese Wahrnehmung auf weiße, bürgerlich-mittelständische und heterosexuelle Erfahrungen begrenzt und keineswegs »universell weiblich« war. In Autobiographien wie Audre Lordes »Zami – a new Spelling of My Name« und in Deutschland Ika Hügel-Marshalls »Daheim Unterwegs: Ein deutsches Leben« oder dem Band »Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte« machten sie andere Erfahrungen öffentlich und forderten damit auch begrenzte Konzepte von Bündnissen und Freundschaften zwischen Frauen heraus. In »Sula«, einem der ersten und einzigartigsten Romane zum Thema Mädchenfreundschaft beschreibt Toni Morrison die Beziehung zwischen Nel und Sula, die in den Südstaaten der 1920er Jahre aufwachsen: »Weil beide schon vor Jahren herausgefunden hatten, dass sie weder männlich noch weiß waren und dass sie von jeder Freiheit und jedem Triumph ausgeschlossen waren, hatten sie sich darangemacht, etwas anderes zu schaffen, was sie sein konnten.« Sie entwerfen ihre eigene Vision, ihre eigene Vorstellung von Freundschaft, die sich in einer innigen, symbiotischen Beziehung des Girl Bonding ausdrückt. Als Nel heiratet, verlässt Sula kurz darauf den kleinen Ort und zieht in die Stadt.
Viele der inzwischen verfügbaren kulturellen Bilder von Frauenfreundschaften weisen ähnliche Konstellationen auf wie das Duo Sula und Nel: Unabhängige Powerfrau trifft auf unterdrückte Ehegattin. Der gemeinsame Kampf gegen sexistische Gewalt schweißt die Freundinnen vor allem auch als Verbündete zusammen: Thelma und Louise fliehen vor ihren langweiligen Männern und müssen sich schließlich gegen sexuelle Übergriffe wehren – ein Motiv, das auch Idgie und Ruth in »Grüne Tomaten« dazu bringt, Ruths Ehemann zu Barbecue zu verarbeiten. Ihre Freundschaften stellten Gegenentwürfe zum dominierenden männlichen Modell dar und boten Schutz- und Ermächtigungsräume in ersten Phasen der Emanzipation, in denen konkrete Erfahrungen von struktureller Ausgrenzung von und Gewalt gegenüber Frauen noch allgegenwärtig waren.
Singles, Paare, soziale Milieus
Inzwischen erscheint die Bewertung von Freundschaftsbeziehungen nach Geschlechter( rollen) generell fraglich. Dies ist vor allem feministischen Interventionen und den Debatten um die Kategorie Gender zu verdanken. Einer kürzlich in Psychologie heute veröffentlichten Studie zufolge unterscheiden sich Freundschaften vielmehr entsprechend des sozialen Umfelds. So haben Männer des so genannten »Selbstverwirklichungsmilieus« eher auf gemeinsame Aktion ausgerichtete »side-by-side«-Freundschaften mit stark narzisstischer Funktion. Frauen dieses Milieus pflegen hingegen untereinander eher »face-to-face«- Beziehungen, in denen vertrauliche intime Gespräche im Zentrum stehen. Im so genannten »Unterhaltungsmilieu« gibt es weit mehr Freundschaften zwischen (heterosexuellen) Männern und Frauen. Eine große Rolle spielt dort, ob die Freunde vom Partner oder der Herkunftsfamilie akzeptiert werden. Singles kümmern sich in allen Milieus mehr um ihre Freunde als Paare und sind eher bereit, etwas für ihre Freunde zu tun. Im »Unterhaltungsmilieu« werden im Gegensatz zum stark selbst reflektierten »Selbstverwirklichungsmilieu« Konflikte mit Freunden kaum bearbeitet. Die Schuld wird zumeist beim anderen gesucht. »Weiblich« konnotierte Formen von Freundschaft, die auf Vertrauen, Intimität und Selbstreflexivität beruhen, gelten als Richtlinie.
In der erfolgreichen Kultserie Sex and the City steht auf den ersten Blick die Freundschaft der vier Protagonistinnen im Vordergrund. Sie sind alle beruflich sehr erfolgreich, finanziell unabhängig und konsumorientiert. Trotzdem konzentrieren sich ihre Get togethers mit der Ausnahme von Macho Samantha, die den klassischen Spieß umdreht und Männer vor allem als Lustobjekte betrachtet, darauf, Berichte über Erfolge und Misserfolge der Suche nach Mr. Perfect auszutauschen (der hier ironisch Mr. Big genannt wird). Wirklich vollkommen, so wird suggeriert, ist ein Frauenleben dann doch erst in der Ehe oder Endlosbeziehung (und gekrönt vom Mutterglück). Der Mann bleibt das unbekannte Wesen, die Differenz absolut. Dabei erliegen die Figuren extrem reaktionären Rollenmustern in Bezug auf die Bedeutung von weiblichen Äußerlichkeiten und Dating-Qualitäten. Dennoch finden sich Zuschauerinnen eines unglaublich breiten Spektrums in Carrie, Miranda, Charlotte und Samantha wieder. Ihre Freundschaft ist ein Wert an sich – und tröstet über die unzähligen glücklosen Lieben hinweg.
Vom Damenkränzchen zur Bündnispolitik
So gesehen ist die Serie paradigmatisch für den Trend, Freundschaften zwischen Frauen aufzuwerten. Frauenfreundschaften gelten heute als intensiver und zufrieden stellender und versprechen mehr praktischen und emotionalen Beistand. Frauen haben mehr Freundinnen als Männer Freunde, sie haben ein differenzierteres Freundschaftskonzept, nehmen ihre Freundschaften wichtiger und sind mit diesen zufriedener. »Die verlogene, heimlich rivalisierende ›Damenkränzchen‹-Freundschaft [...] ist vorbei,« stellte Eva Jaeggi schon 1987 fest, »zumindest ist das Klischee darüber nicht mehr erlaubt. Frauenfreundschaften erscheinen nun – und vielleicht ist auch dies nur ein Klischee – als beneidenswerte Möglichkeit der Selbstfindung.«
Das heißt nicht, dass Frauenbündnisse nicht mehr notwendig sind. In vielen Bereichen haben sich die Fronten bisher kaum verschoben, und auch überzeugte »Gleichheitsfeministinnen« erkennen den Wert strategischer Solidarisierung. In Musik und Popkultur dominieren oft noch immer die starken Jungs, während Mädchen hauptsächlich gut aussehen sollen. Als Backgroundsängerin, als Bond Girl. Darüber hinaus trauen sie sich mangels Vorbildern oft viel weniger zu als ihre vor Selbstbewusstsein strotzenden Künstlerkollegen. Julie Miess, Kulturwissenschaftlerin und Bassistin der Band Britta bringt es auf den Punkt: »Nicht das Wort Frauenband ist das Problem, sondern vor allem eine Musikszene, die es erforderlich macht.« Im kulturellen und akademischen Umfeld zeichnen sich ähnliche Trends ab. Britta-Sängerin und Autorin Christiane Rösinger rief vor diesem Hintergrund kürzlich bei einer Podiumsdiskussion zu »Feminismus seit 1968« dazu auf, besonders auch in popkulturellen Bereichen weiterhin und wieder vermehrt strategisch-solidarische Frauennetzwerke zu pflegen: »Wir müssen uns gegenseitig hochzitieren und hochschreiben.« (Sollte in diesem Text der Eindruck eines »Zitierkartells« entstehen, ist dies entsprechend voll beabsichtigt.)
Insofern ist das öffentliche Girl Bonding von Gina-Lisa und Sarah keineswegs »postfeministisch.« Im Gegenteil: Indem sie ihre Freundschaft höher bewerten, verweigern die beiden sich der Reduktion auf ihre körperlichen Attribute. Vor allem aber trotzen sie dem Rückfall in die fossilen Zeiten des Klischees von Frauenfreundschaften als Zickenkrieg und Rivalinnenkampf um Mr. Right.