In den 1980ern gab es einen Bruch mit der alten 68er Forderung, das Private sei politisch. Nach Punkrock und New Wave bzw. der so genannten »Neuen deutschen Welle« um Fehlfarben, Abwärts, DAF, Hansaplast oder Der Plan, die sich in ihren Texten eindeutig mit dem politischen und privaten Leben in Deutschland beschäftigten, flaute das Bedürfnis, das Leben auf einer politischen Ebene zu beschreiben, ab. Neben ein paar Deutschrockern wie Westernhagen oder Grönemeyer, wurde verstärkt auf Englisch gesungen. Die Inhalte von Popmusik aus Deutschland wurden nicht mehr so wichtig genommen.
Um mal vorne anzufangen: Als ich 1986 Teil des Fast Weltweit Labels in Ostwestfalen wurde, gab es bei sechs verschiedenen Songschreibern den gemeinsam entwickelten Versuch, sich sowohl mit Liebe und Beziehungen als auch mit der politischen Wirklichkeit in deutschen Städten auseinanderzusetzen, in einer Sprache, die sich nicht an amerikanischen Klischees abarbeitete und auch nicht versuchte, sich hinter Ironie oder einer Kunstsprache zu verstecken.
Eins meiner ersten Lieder von 1986 hieß »Sie sind meine Freunde« und handelt davon, wie ich meinen Vater zu überzeugen versuche, dass meine Freunde nicht nur verhaltensgestört und egozentrisch, sondern die wichtigsten Menschen in meinem Leben sind.
Gleichzeitig war ich immer große Bewunderin von Ton Steine Scherben und Rio Reiser, dem einzigen Songschreiber Deutschlands, der es schaffte, politische Parolen und Liebeslieder ebenbürtig nebeneinander stehen zu lassen.
Anfang der 1990er gab es dann in Hamburg verstärkt diskursive deutschsprachige Bands wie Die Kolossale Jugend, Blumfeld, die Goldenen Zitronen, Die Sterne, Tocotronic, die unter der Bezeichnung »Hamburger Schule« zusammen gefasst wurden, und einen erneuten Versuch starteten, das Private und das Politische zusammenzubringen.
Als ich 1990 meine Band Die Braut haut ins Auge gründete, war schon der Name Konzept. Die Privatheit der Hochzeit wurde durch einen Gewaltakt polemisiert und damit politisiert. Die unschuldige Braut holt sich ihr Recht zu rocken.
Es gab Anfang der 1990er viele Frauenbands aus Amerika, die ihre Liebesbeziehungen thematisierten und zum Beispiel die Vergewaltigung in der Ehe aus dem Schutz der Privatheit herausholten und damit enttabuisierten. Sie definierten sich in der Tradtition der 1970er Jahre Feministinnen neu als Riot Grrrls und schufen mit Netzwerken und Do-it-Yourself-Strategien ihre eigenen Strukturen.
In meinen Liedern/Texten geht es meistens um eine Art Selbstermächtigung, wobei natürlich Liebe/Freundschaft auch eine Rolle spielen, aber meistens im Bezug auf die Welt und gesellschaftliche Einflüsse. (»Alles was ihr wollt, ist ficken«, »Mein Bett stinkt«, »Das dramatische Kind«, »Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt?« sind zum Beispiel einige Texte, in denen diese beiden Pole miteinander verschmelzen.)
Das Lied »Wenn du gehst« von unserem Album »Pop ist tot« (1998) ist ein gutes Beispiel, wie feministisches Bewusstsein sich auf ein Liebeslied auswirken kann. Im Gegensatz zu den männlichen Songwriter-Vorbildern für dieses Lied (Elvis Costellos »I want you« oder Jaques Brels »Ne me quitte pas«) wollte ich nicht vor dem Mann meines Herzens auf die Knie fallen, sondern mich stolz erheben, selbst im Moment des größten Liebeskummers.
Die »post-feministisiche« Bewegung hat mich also gestärkt, und zwar auf politischer und privater Ebene. Kollektive Netzwerke wurden zu Freundschaften und zum Lebensmittelpunkt. Ende der 1990er gründete ich mit vielen anderen KünstlerInnen und AktivistInnen den Buttclub in Hamburg, einen Ort für künstlerische und politische Aktionsformen, und organisierte unter anderem 2003 mit 50 anderen Frauen zusammen das feministische Festival Ladyfest Hamburg.
In meinen Texten geht es mittlerweile immer mehr um Liebesbeziehungen als Metapher für politische Verhältnisse oder Utopien. Auf meinem Album »La Beat« (2005) beschreibe ich in dem Lied »Rockerbraut & Mutter«, wie sich mein Privatleben durch ein Kind verändert, in einer Leistungsgesellschaft, in der Flexibilität und Mobilität erwartet wird, dennoch ein »selbst gewähltes prekäres« Leben weiter zu führen und gleichzeitig einem Kind die Sicherheit zu geben, die es braucht.
Ich sehe mich selbst als eine Art Filter oder Machinette, durch die Ideen, Visionen, Utopien hindurchfließen, die ich dann in Musik und Texte umsetze. Wenn ich einen Text schreibe, wie »Ich bin kollektiv, und das will ich auch bleiben, du kannst mich haben, doch nur um mich zu verteilen. Copy me, I want to travel«, dann kann man das als Liebeslied deuten, aber es ist in erster Linie als ein Versuch gemeint, die Idee des geistigen Eigentums zu hinterfragen. Genauso wie der Text »Süße Gefangenschaft« nicht einfach ein Lied über eine masochistische Beziehung ist, sondern versucht, die Unfreiheit unserer vermeintlichen Freiheit zu thematisieren.
Der Text ist anlässlich der Tagung »Die Macht der Liebe und die Liebe zur Macht« der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg im November 2007 in Stuttgart entstanden.