2006 landeten gleich zwei Regisseure auf ihrer Suche nach dem Kino der Zukunft in Südkalifornien. Während David Lynchs Inland Empire den »postfilmischen« Film in defizitären Digitalbildern und manchmal altmodisch anmutender modernistischer Selbstreflexivität suchte, stürzte sich Richard Kelly in das bunte, laute und chaotische Nebeneinander der Trashkultur sowie der sich selbst vervielfältigenden digitalen Bilderflut der Gegenwart. In Southland Tales spielt der ehemalige Wrestler Dwayne »The Rock« Johnson die Hauptrolle, Pornostars üben sich in Kulturkritik und Neomarxisten, die aussehen wie ein Greenday-Fanclub, wollen die Weltherrschaft übernehmen. Wer dieser Karl Marx war, muss Kelly seinem Publikum aber erst erklären. Der Film wurde in Cannes seinerzeit in der Luft zerrissen, nur um in den USA anschließend anlässlich eines kleinen Kinostarts von einigen Kritikern wie J. Hoberman zum Meisterwerk erklärt zu werden. Ob Kellys Werk tatsächlich das Opus Magnum des postmodernen Films darstellt, oder doch nur eine hoffnungslos missratene Satire, mag jeder selbst entscheiden.
Als TV-Handwerker inszenierte Herbert Wise das amerikanisches Fernsehspiel Skokie in den frühen 1980er Jahren nach den Maßgaben des amerikanischen Qualitätsfernsehens einer Zeit lange vor »Lost« oder den »Sopranos«: Talking Heads, funktionale Kamera, gemächliche Erzählgeschwindigkeit. Ende der 1970er Jahre plant eine rechtsradikale Splitterpartei, die sich in ihrem Auftreten direkt an der NSDAP orientiert, einen Marsch durch die amerikanische Kleinstadt Skokie, eine Ortschaft mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil von knapp 40 Prozent, darunter zahlreiche Holocaust-Überlebende. Nachdem Bürgerinitiativen gerichtlich gegen die Neonazis vorgehen, wenden sich diese an die spendenfinanzierte American Civic Liberties Union (ACLU). Die Organisation verteidigt die Werte der amerikanischen Verfassung – in diesem Fall die Meinungsfreiheit – von einem linksliberalen Standpunkt aus. Die juristischen Auseinandersetzungen erhalten eine besonders bizarre Note durch die Tatsache, dass der federführende Anwalt der ACLU selbst jüdisch ist und hier für das Recht einiger SS-Wiedergänger streitet, das Hohelied Adolf Hitlers zu singen. Einige Passagen erscheinen aus heutiger Perspektive zäh, beeindruckend ist aber, wie konsequent Wise sein Werk argumentativ statt emotional strukturiert. So wird Skokie, für die deutsche Erstausstrahlung 1997 dämlich »Kreuz der Gewalt« betitelt, zu einem frühen Gegenentwurf zu Spielbergs bombastischer Geschichtsfilmerei.
Vergangenheitsbewältigung völlig anderer Art beschreibt und vollzieht der japanische Dokumentarfilm The Emperor’s Naked Army Marches On aus dem Jahr 1987. Der Regisseur Kazuo Hara verfolgt Kenzo Okuzaki, einen Veteranen des Pazifik-Kriegs, auf seinem Kreuzzug wider das Vergessen. Okuzaki, der einst einen Anschlag auf den japanischen Kaiser plante, konfrontiert ehemalige Vorgesetzte und Mitstreiter mit verdrängten Greueltaten auf den Philippinen. The Emperor’s Naked Army Marches On, oft irreführenderweise als Vorläufer engagierter Dokumentarfilme der Michael-Moore-Schule beschrieben, führt das Dispositiv des dokumentarischen Films gezielt an dessen eigene Grenzen. Schuld daran ist die Hauptfigur. So sympathisch Okuzakis Mission ist, so psychotisch ist er selbst. Ausgesucht freundlich tritt er seinen Gesprächspartnern zunächst entgegen, nur um alsbald wild auf sie einzuprügeln, wenn sie nach Ausflüchten suchen. Seinen insisiterenden, nicht nur latent aggressiven Fragen entspricht eine insisitierende Kamera, deren behauptete Objektivität nicht lange Bestand haben kann. Vom klassischen dokumentarischen Ethos entfernt sich The Emperor’s Naked Army Marches On nicht durch manipulative Techniken, sondern aufgrund der inneren Logik des Dargestellten.
Southland Tales (Richard Kelly), USA, 2006, erschienen im Mai 2008 bei Universal, Sprachen: Englisch, Deutsch und Italienisch, in einer Box mit Kellys Donnie Darko
Skokie (Robert Wise), USA, 1981, erschienen im August 2003 bei Hollywood DVD Ltd., Sprache: Englisch ohne UT
The Emperor’s Naked Army Marches On/Yuki Yukite shingun (Kazuo Hara), Japan, 1987, erschienen im Februar 2007 bei Facets, Sprache: Japanisch mit englischen UT