Nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, wirtschaftliche Partnerschaften, schuldrechtliche Kooperationen und Sonderverbindungen – das Recht endeckt die juristische Qualität von Nähe und Fürsorge. Brauchen wir ein Rechtsinstitut der Freundschaft?
»Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt«. Melodie und Rhythmus sind eingängig, so dass jeder sofort mit Heinz Rühmann tosend einfallen möchte, in teutonischem Herrentagstaumel: »…und wenn die ganze Welt zusammenfällt. Drum sei auch nicht betrübt, wenn dein Schatz dich nicht mehr liebt. Ein Freund, ein guter Freund, das ist der größte Schatz, dens gibt.« Damit sind wir beim ernsten Teil der Angelegenheit: Der Schatz, der dich nicht mehr liebt. Die Zahl der Eheschließungen geht seit Jahren zurück, während die Scheidungsrate kontinuierlich steigt. Jede zweite Ehe wird mittlerweile geschieden und alternative Lebensformen treten an ihre Stelle. »Liebe vergeht, Liebe verweht, Freundschaft alleine besteht. Ja, man vergißt, wen man geküßt, weil auch die Treue längst unmodern ist.« Unmodern erscheint aus diesem Blickwinkel das deutsche Recht. Das Grundgesetz hängt in Artikel 6 noch dem klein- bzw. großbürgerlichen Ideal von zwischenmenschlicher Intimität nach: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung«. Ein gesellschaftliches Auslaufmodell genießt weitreichende juristische Protektion: Vom Ehegattensplitting, über den erbrechtlichen Pflichtteilsanspruch und die Witwenrente bis hin zu Zeugnisverweigerungsrechten.
Die exklusive Stellung der Ehe als gesellschaftlich schützenswerte Institution wird seit langem in Zweifel gezogen und kritisiert. Insbesondere mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot erscheint die staatliche Schutz- und Förderungspflicht für ein familiäres Auslaufmodell kaum mehr erträglich. Während deutsche Staatsrechtler laut über einen »stillen Verfassungswandel« nachdenken, hat das Land Brandenburg den Verfassungswandel bereits vollzogen und die »Schutzbedürftigkeit anderer, auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften anerkannt«. Für die homosexuelle Partnerschaft ist auf Bundesebene eine weitgehende Annäherung an den rechtlichen Status der Ehe gegen konservative Widerstände erkämpft worden. Und auch für die nichteheliche Lebensgemeinschaft sind Erfolge in der Gleichstellung zu verbuchen. Der reale Vollzug eines gemeinschaftlichen Lebens tritt zunehmend an die Stelle des formalen Eheversprechens.
Der Kern, um den sich letztlich alles dreht, ist nichts Geringeres als Freundschaft. Freundschaft verhält sich zur Lebenspartnerschaft ebenso, wie die nichteheliche Lebensgemeinschaft zur Ehe. Hier wie dort scheidet das eine vom anderen lediglich die Form des Bekenntnisses in einem öffentlich sanktionierten Vertrag. Damit ist dann auch hier der Ort klarzustellen, dass Freundschaft nicht länger ein phallozentrisches Refugium für den Sauf- und Kriegshandel darstellt, sondern im emanzipierten Gleichgeschlechterstaat korrekt als »FreundInnenschaft« betrachtet und geachtet werden muss. »Ehre-Freundschaft-Recht« sind nicht länger burschenschaftliche Tugenden. Freundin oder Freund, die Freundschaft ist die Urgemeinschaft, auf welcher alle weitere Gemeinschaft aufbaut und sich in Äußerlichkeiten neu und sinnlich zu definieren sucht. Wie lange kann eine Ehe oder Partnerschaft bestehen, der es an Freundschaft zwischen den Partnern mangelt? Liegt nicht die Pathologie jedes Familiendramas darin, dass die Eltern nicht Freunde ihrer Kinder sind? Nicht Ehe und Familie bilden also den letzten Grund eines Gemeinwesens, sondern die Freundschaft.
Im Kampf gegen den pater familias
Von hier aus hängt dann weiter alles an der Frage der Quantität: Ist es möglich, mehr als einen Freund, mehr als eine Freundin zu haben? Wie viele? Warum Exklusivität in das Bekenntnis einer juristischen Form zwängen? Mit diesem »mehr als einem« und »mehr als einer« beginnt alle Politik, das Bekenntnis für oder gegen die Trennung von Privat und Öffentlich. Die Entscheidung, wer sich mit wem und wie oft in Freundschaft vereinigt, mag privater Natur sein. Ob diese Vereinigung aber im Urteile der anderen und des Rechts Anerkennung findet, bleibt immer öffentlich. Der Kampf gegen die bürgerliche Auffassung von Ehe und Familie als Stützen des Staates und der Ungleichheit, wird zu einem Kampf gegen die Eindimensionalität des zum Übervater erwachsenen pater familias. Die Lösung des Konflikts scheint nach allem Gesagten einfach: Weder Patriarchat noch Matriarchat, die Freundschaft ist nicht nur als reale Wurzel aller Gemeinschaft, sondern auch als normativer Ausgangspunkt aller rechtlichen Protektion festzuhalten. Artikel 6 Abs. 1 GG sollte dann besser lauten: »Die FreundInnenschaft steht unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.«
Wohlhabende bedürfen ihrer zur Wohltätigkeit, den Bedürftigen hingegen dient sie als Zuflucht, dem jungen Menschen ist sie eine unentbehrliche Schule und dem Alten gewährt sie wirkliche Pflege. Die Freundschaft ist der Nukleus des Sozialstaates, ohne sie gibt es kein gelingendes Schul- und Bildungssystem und erst recht keine gelingende Außenpolitik. Sie vereinigt die Antagonismen in einer allumfassenden Ode an die Freude. An die Stelle des Ehegattensplittings tritt das FreundInnensplitting, die Witwenrente wird eine FreundInnenrente, das Pflichtteilsrecht wird entweder gänzlich abgeschafft (Keine vermögensrechtliche Protektion für niemanden!) oder Freund und Freundin werden hier ebenso mit einbezogen wie bei den Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten. Die Freundschaft ist das »soziale Öl«, das manche im Bürgerlichen Recht bis heute vermissen, es schmiert die Verhältnisse und fügt zusammen, was zusammen gehört. Das wussten wir schon: »Der wahre Freund allein, ist doch das höchst Gut auf Erden.«
Vom Vertrag zur freundschaftlichen Sonderverbindung
Die Diskussion des Familienrechts steht allerdings in einem größeren Kontext. Das überkommene Bürgerliche Recht basiert auf der schlichten kantischen Prämisse »wohlgeordneter Freiheit« und der insoweit strukturgebenden Frage, worauf sich die Freiheit freier Wesen denn beziehen kann. Die liberale, d.h. freiheitsliebende Konzeption des Bürgerlichen Rechts sondert lediglich Ehe und Verwandtschaft als besondere Näheverhältnisse juristisch vom Obligationenrecht. Die Werterevolution der letzten 30 Jahre ist nichts anderes als der Aufstand der sozialen Realität gegen diese gute bürgerliche Norm. Es gibt Nähe und Vertrauen nicht nur zwischen Ehegatten oder Eltern und Kindern. Familie ist nicht mehr nur das Elternhaus, sondern jeder Ort, an dem Nähe und Vertrauen tatsächlich gelebt werden. Eines Vertrages bedarf es hierfür nicht, im Gegenteil, das Einfordern eines solchen signalisiert sogleich Misstrauen. Galt dieses Misstrauen früher lediglich dem formellen Vertragsabschluss (»Auch was Geschriebenes forderst Du Pedant, hast du nicht Mann, noch Manneswort gekannt?«), so ist der Vertrag als solcher nur mehr ein Rudiment des Wirtschaftsrechts, und selbst dort scheint er sich allmählich zwischen letter of intent und anderen weichen und harten Absichtserklärungen, zwischen Floskeln, Augenzwinkern und invisible handshake aufzulösen.
Das Nähe- und Vertrauensverhältnis, kurz die Freundschaft, bestimmt auch im Obligationenrecht zunehmend die Rechte und Pflichten der Parteien. »Einer trage des anderen Last« ist als Imperativ dem modernisierten Schuldrecht in der juristischen Konstruktion einer »Sonderverbindung« ins Herz geschrieben. Der Vertrag ist in dem Kontinuum der Vertrauensverhältnisse nurmehr ein Sonderfall misstrauischer Freundschaft. Hatte Sir Henry Maine die Rechts- und Kulturgeschichte Ende des 19. Jahrhunderts noch als Entwicklung from status to contract analysiert, greift heute eine ähnlich simple Formel: from contract to friendship. »Kooperation« und »Solidarität« bezeichnen für das Vertrags- und Obligationenrecht dasselbe wie »nichteheliche Lebensgemeinschaft« und »Partnerschaft« im Familienrecht. Der Zustand »Freund-Sein« oder »Freundin-Sein« definiert einen Status, jede konkrete Freundschaft eine Statusbeziehung. So lässt sich eine umgekehrte Rechtsevolution from contract to status konstatieren.
Von Heinz Rühmann steuern wir nun geradewegs auf den sicheren Hafen der Nikomachischen Ethik zu. Gerechtigkeit und Freundschaft sind für Aristoteles zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das, was billig und recht ist, bestimmt sich nach dem konkreten Verhältnis, dem es jeweils zugewogen wird: »Denn auch unter den Freundschaften sind die einen enger, die andern weniger eng. So unterscheidet sich auch das Recht. Es ist nicht dasselbe für Eltern gegenüber den Kindern, für Brüder untereinander, unter Kameraden und Mitbürgern und bei den andern Arten von Freundschaft. Auch das Ungerechte ist in jedem dieser Fälle ein anderes; es mehrt sich, indem es Freunden gegenüber größer wird: es ist schlimmer, einem Kameraden Geld zu stehlen als einem Mitbürger, einem Bruder die Hilfe zu verweigern als einem Fremden, und einen Vater zu schlagen als irgendeinen anderen. Das Recht wächst also seiner Natur nach gleichzeitig mit der Freundschaft« (Nikomachische Ethik). Die Entwicklung der verschiedenen Arten von Freundschaft hat bei Aristoteles keine andere Bedeutung als das, was später im Anschluss an Kant als Rechtsverhältnis bezeichnet worden ist: Das Recht ergibt sich als besondere normative Abstraktion aus der Anschauung des jeweiligen Verhältnisses.
Man spricht von Rechten, aber meint Pflichten
Juristen haben sich aus naheliegenden Gründen abgewöhnt, von Freundschaften in Rechtsbeziehungen zu reden, weil sie es vorziehen, für die Konstruktion subjektiver Rechte vor allem in Interessengegensätzen zu denken. Tendiert man hingegen dazu, die Interessengegensätze bereits begrifflich zu versöhnen, so mag man die Rechtsverhältnisse wieder als ausdifferenzierte Facetten der Freundschaft betrachten. Ein pauschaler rechtlicher Schutz eines wie auch immer abstrakt definierten, aber doch wohlklingenden Rechtsinstituts führt uns freilich in eine voraristotelische amorphe Beziehungswelt der Beziehungslosigkeit. Die fehlende Analyse und begriffliche Strukturierung der sozialen Beziehungen mag für die antike Welt nicht sonderlich schädlich gewesen sein, weil diese Strukturen für die Polis gleichsam als naturgegeben empfunden wurden. Für die Kinder der Freiheit in einer komplexen Gesellschaft gilt das nicht. Derzeit mehren sich die Klagen, dass das Obligationen- und Wirtschaftsrecht zusehends unberechenbar geworden ist. Nichteheliche Lebenspartner klagen, dass sie, gleichwohl einander nicht zum Unterhalt verpflichtet, von der Fürsorge des Wohlfahrtstaates ausgenommen werden, wenn und soweit der eine für den anderen sorgen kann. Eine Welle von Klagen überzieht auch die Sozialgerichtsbarkeit, weil Partner homosexueller Partnerschaften die gleiche Erfahrung durchmachen, dass ein Recht zu erkämpfen nicht bedeutet, gleichwohl frei von Pflichten zu bleiben.
Was mit einem Aufstand gegen den Ehestand begann, weicht der Ernüchterung, weil und soweit die alternativen Lebensformen eben diesem Stand angeglichen werden. Man spricht von Rechten, doch es geht um Pflichten. Rechte und Pflichten mag sich der erwerben, der sie erwerben möchte. Uns aber, Freunde, lasst hoffen, dass die Freundschaft nicht in die Fänge der Juristen gerät.