Zwischen Staaten, so sagte es Charles de Gaulle, gibt es keine Freundschaft. Nur Interessen. Schlechte Nachrichten also für die Außenpolitik-Profis in den Regierungen dieser Welt. Ist es doch ihr Hauptanliegen, für »freundschaftliche Beziehungen«, »Völkerfreundschaft« oder ganz einfach »tiefe Freundschaft« zwischen den Staaten und Gesellschaften, deren Interessen sie vertreten, zu sorgen. Wie sieht er demnach aus, der gefühlte Widerspruch zwischen staatlichen Interessen und außenpolitischer Freundschaft? Warum ist die rhetorische Freundschaftshülle gerade in der internationalen Politik so erfolgreich? Und wie werden durch kluge Außenpolitik aus Feinden Freunde?
Außenpolitik ist zunächst ein Geschäft der vertikalen Ordnung. Zwar begegnen sich im Mäntelchen staatlicher Souveränität politische Vertreter »auf Augenhöhe«. Bei genauerer Betrachtung und vor allem in der Wahrnehmung durch Dritte zählen jedoch andere Kategorien: Großes Land trifft kleines Land, Macht trifft Ohmacht, Geber trifft Nehmer, Patron trifft Bittsteller. Freundschaft als Band zwischen Gleichen, charakterisiert durch Abwesenheit von Herrschaft und Macht, scheint hier ein fremder Gast zu sein.
Es mag sein, dass Vertreter zweier Staaten in der Pressekonferenz nach der Begegnung hinter verschlossenen Türen nur zu gerne auf das vertrauensvolle Vornamen-Du zurückgreifen und sich gegenseitig freundschaftlich das Wort erteilen. Sie tun dies auch, um die Nähe, Unkompliziertheit und Offenheit der Begegnung zu untermauern, wenn nicht sogar zu inszenieren. Doch wahre, echte Freundschaft sieht – jenseits aller kumpelhaften Professionalität – anders aus. Diese braucht nach allgemeinem Verständnis Zeit, Gemeinsamkeit, Geschichte und Perspektive. Nur in Ausnahmefällen Ingredienzien von Politikerbegegnungen, die im Viertelstundentakt geschaltet sind, mitunter zu multilateralen Massenveranstaltungen ausarten und einer Mischung aus Schach und Poker gleichen.
Hinzu kommen die bürokratischen Maschinen, die Außenpolitik zu ermöglichen suchen. Kabinette, Büros, persönliche Berater, Pressestab und das Protokoll bewachen argwöhnisch den Aktionsradius der außenpolitischen Protagonisten. Raum für spontanes Interagieren, Ausbrechen aus dem vorgedachten, abgesprochenen Ablauf gibt es in der Regel nicht. Im Gegenteil: Jedes Wort, auch das Nichtgesagte, wird auf die Goldwaage gelegt. Und wenn es mal richtig lustig oder bunt werden soll, ist auch das in der Regel durch die beteiligten Stäbe geplant, diskutiert und abgestimmt. Schließlich soll ja – bei aller Freundschaft – niemand überfordert werden.
Ähnlich skeptisch muss man sein, wenn die Freundschaft zwischen den Völkern beschworen wird. Zwar mag es eine »politische Freundschaft« geben zwischen Deutschen und Franzosen, Deutschen und Briten, oder Deutschen und Polen. Völkerfreundschaft behält dann aber meist das Aroma politischer Absichtserklärungen oberer Flughöhe. Die Substanz muss auf Graswurzelebene nachgeliefert und täglich neu erarbeitet werden. Zum Beispiel durch Jugendwerke, Städtepartnerschaften oder sonstige Netzwerke, die persönliche Begegnungen ermöglichen. Erst dann – durch die Entpolitisierung des Kontextes – wird »Völkerfreundschaft « etwas Greifbares, Erlebbares.
Sympathie, Vertrauen, Verlässlichkeit
Dennoch und bei aller Skepsis: Es gibt auch in der Außenpolitik Raum für die Freundschaft als politische Kategorie. Denn Außenpolitik ist neben allem Gesagten auch und vor allem die Akzeptanz von Differenz und – davon ausgehend – das Ausloten gemeinsamer Interessen. Dies betrifft zunächst die persönliche, individuelle Ebene. Außenpolitische Protagonisten, mithin jedes Regierungsmitglied mit internationalem Radius – allen voran Regierungschef und Außenminister – müssen auch jenseits der Landesgrenzen Vertrauen gewinnen und persönlich überzeugen. Nur so können sie ihre Ziele und Projekte umsetzen – nicht aus postheroischer Naivität, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse und Einsicht in die globalen Mechanismen der Macht. Sympathie, Vertrauen und Verlässlichkeit sind dabei entscheidende Faktoren. Das gilt für außenpolitisches Krisenmanagement zur Verhinderung von möglichen Konflikten genauso wie für längerfristige Vorhaben wie die Reform internationaler Institutionen, die internationale Klima- und Energiepolitik oder die Fortentwicklung des Völkerrechts.
Der Sympathie-Faktor außenpolitischer Protagonisten, Politiker und Staaten ist in der internationalen Politik ganz und gar nicht zu unterschätzen. Und kann durchaus als Bedingung der Möglichkeit freundschaftlicher Außenpolitik betrachtet werden. In diesem Sinne kann die kritische Diskussion zum gesunkenen Ansehen der USA in aller Welt durchaus so interpretiert werden: Es ist heute schwerer, ein Freund der USA, geschweige denn des amtierenden Präsidenten zu sein. Hard Power pur und martialisches Auftreten als Politikersatz schaden dem Ansehen in der Welt, verengen den außenpolitischen Vektorraum und stellen jede Freundschaft auf eine harte Probe. Kein Wunder, dass im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf die Wiederherstellung des Ansehens der USA in der Welt für beide Kandidaten ganz oben steht. Dem neuen Präsidenten wird es darauf ankommen, alte Freundschaften zu erneuern und Vertrauen zurückzugewinnen. Dies könnte – weit über die USA hinaus – auch eine neue Chance sein für die internationale Kulturpolitik. Nicht im Sinne platter Propaganda, sondern als freundschaftlicher Weg, die eigenen Positionen, kulturellen Bindungen und Verortungen deutlich und vor allem verständlich zu machen.
In Europa haben wir mit der Europäischen Union das beste Beispiel für ein Staatenbündnis unter Freunden. Zugegeben – auch hier ist nicht alles Gold was glänzt, Freundschaft und die europäische »Idee« werden nur allzu oft als Etikett für knallharte Interessenpolitik und nationale Vorteile missbraucht. Dennoch: Die EU als »Bund von Freunden« zeigt, welche Ergebnisse freundschaftliche Außenpolitik zeitigen kann, indem sie alte Feindschaften überwindet und freundschaftliche Beziehungen institutionalisiert.
Gute Nachbarschaft und hohe Zäune
Außenpolitik kann kein Nullsummenspiel sein nach dem Motto: Mein Vorteil muss dein Nachteil sein. Gerade bei den viel beschworenen globalen Herausforderungen unserer Zeit, bei der internationalen Klima- und Energiepolitik, der Eindämmung nuklearer Gefahren, dem Kampf gegen Fundamentalismus und Terrorismus oder bei der Bekämpfung der Armut in den toten Winkeln der Globalisierung kann die Logik des freundschaftlichen Handelns Richtschnur für kluge Außenpolitik sein. Die gefühlte Nähe in der neuen globalen Wirklichkeit erzeugt neue Berührungs- und auch Reibungsflächen zwischen Menschen, Völkern und Kulturen. Dialogverweigerung wäre hier nur eine Spielart von Fundamentalismus, hohe Zäune führen eben nicht zu guter Nachbarschaft. Stattdessen wirkt eine Politik der ausgestreckten Hand, der Zusammenarbeit und der Reziprozität. Heute vielleicht noch mehr als früher. Hierfür kann, hier muss Außenpolitik den Rahmen setzen. Jenseits hohler Freundschaftsphrasen, sondern eher in der außenpolitischen Ackerfurche. Durch das Abbauen von Misstrauen, das Überwinden von Gräben und das Angebot zum Dialog. Was sich technisch oder lebensfern anhört, verfolgt in der täglichen außenpolitischen Arbeit doch einen höheren Zweck: den Grund zu bereiten für vertrauensvolle Zusammenarbeit und letztlich für die gegenseitige Bindung in »außenpolitischer Freundschaft«. Gerade in der internationalen Politik gilt: Das Gegenstück zur Freundschaft ist nicht die Feindschaft, sondern eher die Ignoranz, die Gleichgültigkeit. Teilnahme und internationale Solidarität sind geeignete Mittel, um die Rückkehr der Geopolitik im Zaum zu halten. Nicht aus postnationaler Träumerei, sondern weil die Umstände, die Herausforderungen der Zukunft es gebieten. Auch wenn es De Gaulle nicht gefallen hätte.