In den letzten Monaten bekam ich außerordentlich viele Mixe geschenkt, weil ich für vier Monate durch Umzug und Telefonmarktliberalisierung keinen Zugriff zum Netz, zu neuer Musik durch Blogs oder ähnliches hatte. Freunde erkannten die missliche Lage und gaben mir ihre Geschenke meist ohne großen Kommentar, allenfalls verbunden mit dem dezenten Hinweis, dass meine CD-Sammlung seit einigen Jahren wirklich erbärmlich konstant geblieben sei.
Danke, Freunde, sehr aufmerksam. Aber auch problematisch: In vielen Fällen sind Mixe eine recht intime Art der Freundschafts- oder ab und zu sogar Liebesbekundung. Früher, daran werden sich alle sicher noch erinnern, gingen ganze Nachmittage dafür drauf, eine Kassette mit den momentanen Lieblingsliedern zu bespielen, dann intensiv mit Collagen oder Filzmalern zu gestalten und am nächsten Tag entweder lässig oder herzbebend zu übergeben: »Ich hab’ Dir mal ’n Mix gemacht« (dabei den Blick auf die Schuhspitzen gesenkt)… Kurz: Mixe waren eigentlich die Apotheose der Freundschaft.
Gerade deshalb aber bargen eigene Kompilationen eben auch die große Gefahr, die von den Wenigsten souverän umschifft werden konnte: Was, wenn der Mix nicht gefällt? Wenn sie/er die Musik nicht mag, oh Gott, dann sehe ich keine Zukunft für die Freundschaft, dann können wir nie mehr zusammen Musik hören, dann ist eigentlich alles sinnlos und leer. Nun denn, ganz so wild ist es vielleicht selten, aber das Damoklesschwert der Antwort »Ganz o.k.« auf die Frage »Und, wie findste den Mix?« hing seit jeher schon über der freundschaftlichen Gabe.
Heute sind die Rahmenbedingungen andere, aber das Ziel wahrscheinlich immer noch dasselbe. Es braucht nur zehn Minuten, um einen Mix auf CD zu brennen, zum Aussuchen genügen ein paar lausige Mausklicks und manchmal weiß man schon am nächsten Tag nicht mehr, was eigentlich drauf war. Und trotzdem: Mixe werden auch außerhalb der Blog-Playlists immer noch gemacht und geschenkt, und, wenngleich schlampiger gestaltet, hat sich an ihrer Funktion im Prinzip nichts verändert. Immer noch werden sie eingelegt und gehört mit der Frage: Was hat denn XY da für mich ausgesucht?
Diesbezüglich keine Klage von meiner Seite, denn unter den Mixen der letzten Monate waren einige Goldstücke, die – so muss ich nach der vorangegangenen Argumentation annehmen – natürlich exklusiv für mich bestimmt waren. Wie zum Beispiel die herrlich eklektische Zusammenstellung eines italienischen Freundes, der neben einigen sehr gelassenen Tracks des wunderbaren Elektro-Trios Cobblestone Jazz aus Vancouver ein halbes Dutzend Stücke der Mailänder Fusion-Explosion Elio e le storie tese – Wahlverwandte der Mothers of Invention, etwa zwei Generationen später – ausgesucht hatte. Zwei Wochen später schickte er einen Cartoon hinterher, in dem ein Raumschiff mit einem Riesenpfefferstreuer kämpft. Ich nahm dies als verschlüsselten Hinweis auf die aktuelle politische Lage in Italien.
Oder wie der Mix eines anderen Freundes, seines Zeichens Kommunikationsberater, der die fürchterlich tragischen Noir Désir und Death Cab for Cutie mit Liedern von Sherry Black and the Port Authority kreuzte, einem 2-Köpfe-Projekt aus London und Basel, das klingt wie Michel aus Lönneberga auf der Festwiese von Hultsfred. Am Tag zuvor noch hatten wir darüber gesprochen, wie er Gespräche mit Kunden meistert, die seine Vorschläge nicht verstehen. Seitdem habe ich die Frage nicht mehr gestellt.
Oder wie schließlich das Geschenk eines dritten Freundes, der mir immer vorwarf, Mixe viel zu selektiv wahrzunehmen und immer nur einzelne Lieder zu hören. Wie er darauf kommt, ist mir bis jetzt schleierhaft, aber schließlich führte es dazu, dass er mir nur noch ganze Platten zum Hören gab, wohldosiert und in relativ regelmäßigen Abständen. Und so kam ich zu Scout Niblett und ihrem hinreißend schönen und fantastischen Brett »Kidnapped by Neptune«, das eine Ode an die Einfachheit der Rockmusik ist, wie sie die White Stripes nur ganz zu Beginn singen konnten.