Freundschaft im Film, Freundschaft durch Film, Freundschaft gegen den Film, Freundschaft im Filmbusiness, Filme als Freunde. Wie schreibt man über Freundschaft und Film? Klare Sache: Man bittet seine Freunde um Hilfe.
»Der Schnitt« ist ein Filmmagazin, das vor über zehn Jahren von zwei Freunden gegründet wurde, die inzwischen auch meine Freunde sind. Die unterschiedlichsten Leute schreiben für den »Schnitt«, aber sie teilen alle dieselbe Begeisterung fürs Kino und fürs Schreiben darüber – und sie stehen alle in einem Email-Verteiler. Der fühlt sich wie eine Art virtueller Freundeskreis an, natürlich ist dort der Tonfall meist ruppig, aber das ist auch ein Merkmal von Freundschaft: Sie führt – genau wie die Liebe – zum kontrollierten Verzicht auf Höflichkeitsfloskeln zugunsten des gepflegten Anpflaumens. Ich schicke also eine Nachricht über den Verteiler und bitte um Hilfe. Und bis die ersten Antworten kommen, denke ich selber ein wenig nach.
Wenn man es ganz simpel will, kann man alles Zwischenmenschliche in drei archetypische Kategorien einteilen. Da gibt es zum einen Mann und Frau. Dann gibt es Eltern und Kinder. Und schließlich gibt es Geschwister. Diesen drei Modelle lassen sich auf jedes zwischenmenschliche Verhältnis anwenden. Entweder ist es die Liebe mit allem, was daran hängt. Oder es ist ein Eltern-Kind-Verhältnis, mit Hierarchie, Protektion und Erfahrungsvorsprung. Oder es ist ein Verhältnis wie unter Brüdern oder Schwestern. Und dann ist es Freundschaft (oder Feindschaft).
Weil das Leben aber kein Matheheft ist, kann man all das natürlich nicht klar voneinander abgrenzen. Eins kann ins andere übergehen, es kann beides zugleich sein, und beide Beteiligten können auch ganz unterschiedlicher Auffassungen sein, wie das Verhältnis zu bewerten ist, was gelegentlich zu tragischen oder komischen Verwicklungen führt. Und da wären wir schon mitten beim Film. Der Zuschauer geht bekanntlich ins Kino, weil er das eigene Leben mitsamt seinen tragischen und komischen Verwicklungen auf der Leinwand wiederfinden will – und zwar entweder so, wie es ist, oder so, wie er es gern hätte, aber in beiden Fällen mit der Extraportion Sinn, die man im wahren Leben meist vergeblich sucht. Dass Liebesgeschichten im Film daher immer einige Nummern größer sind als im eigenen Leben, weiß jedes Kind. Im kommerziellen Kino gibt es kaum einen Film ohne Liebesgeschichte. Wie aber steht es um die Freundschaft? Ist sie dazu verdammt, immer nur die zweite Geige zu spielen hinter der großen, strahlenden, eifersüchtigen Diva des Kinos, der Liebe?
Vom heiligen Schauer zur Analyse
Mein virtueller Freundeskreis schickt erste Nachrichten. Jemand schreibt: Mit 13 kamen mir fast die Tränen, als Spock zu Kirk in ›Star Trek 2 – The Wrath Of The Khan‹ sagte: »You are my superior officer. You are also my friend. I have been, and always shall be yours«. Ja, damals mit 13 konnte man angesichts solcher Momente tatsächlich einen großen, heiligen Schauer verspüren, während Liebesgeschichten einem herzlich egal waren. Sind die drei Beziehungsmodelle vielleicht an drei Lebensalter geknüpft? Wenn der Mensch die Welt als Kind betritt, lernt er zunächst die Freundschaft kennen und meint in ihr das höchste Gut auf Erden zu haben, bis er irgendwann mit der Liebe Bekanntschaft macht, einige Jahre seines Lebens damit zubringt, ihr nachzujagen, sie zu verlieren und wiederzufinden, bis er dann schließlich selber Kinder hat. Das würde erklären, warum das Weltkino zum Thema Liebe deutlich mehr zu sagen hat als über Freunde oder auch über Eltern. Die hauptsächliche Zielgruppe ist und war schon immer 16 bis 30 Jahre alt und interessierte sich eher für die Paarung als fürs Kinderkriegen.
Der Redaktionsleiter beim »Schnitt« geht die Sache analytischer an: Es gibt viele Filme, in denen die Freundschaften einfach so existieren, weil man eben zusammen irgendwo Zeit verbringt – Kriegsfilme, College- und Highschool-Filme etc. Ich fand das immer schade, das sind Kameradenfilme, keine Freundschaftsfilme. Freundschaften sind bewusste Entscheidungen, nicht zufälliges Zusammenrumhängen, dann muss sich der Film nämlich auch mit den Abmachungen, Grenzen und Modifikationen dieser Freundschaft beschäftigen. Weswegen »Die Verurteilten « trotz Knast ein Freundschaftsfilm ist und »Dazed and Confused« trotz vieler Kumpels kein Freundschaftsfilm, weil er nichts über die Freundschaft aussagt. Er teilt das Thema in Unterkategorien auf – Freundschaft und Andersartigkeit, Freundschaft und Familie, Freundschaft und Opfer, Freundschaft und Liebe. Und ganz nebenbei erledigt er im Vorbeigehen eines der dämlichsten Fehlurteile über einen meiner liebsten Filme, wenn er schreibt: Richtig ersatzfamilienmäßig wird es dann bei »Leon – Der Profi«, zwar nominell auch eine Romanze zwischen einem kleinen Mädchen und einem erwachsenen Mann, aber eigentlich eine Ersatzfamiliengeschichte.
Warum der Mensch die Eiszeit überlebte
Glücklich, wer solche Freunde hat. Jetzt schreiben mir mehr und mehr Leute. Wenn ich zunächst dachte, im Film ginge es in erster Linie immer um die Liebe, so verkehrt sich dieser Eindruck fast schon ins Gegenteil. Geschichten wie die von Leon und Matilda oder Harold und Maude gehen uns eben deshalb so sehr ans Herz, weil sie originär menschlich sind. Die Liebe ist ja letzten Endes doch nur ein großer Überbau über dieses Ding namens Fortpflanzungstrieb, das die Natur uns allen mitgegeben hat – Freundschaft hingegen ist etwas originär Menschliches. Partnersuche, Werbung, Balz und Geschlechtsverkehr kann jedes Tier, und wenn wir Menschen bei diesen Aktivitäten zusehen, sei es real oder im Film, bleibt oft ein schaler Nachgeschmack, als hätte man zwei Säugetieren beim Ausleben ihrer Instinkte zugesehen. Freundschaft hingegen, Loyalität, das Aufbauen von zwischenmenschlichen Bindungen, die nicht der direkten Arterhaltung dienen, die sogar den eigenen Vitalinteressen zuwiderlaufen können – das ist in gewisser Weise das Edelste, was ein Mensch überhaupt tun kann. Dank solcher Tugenden hat der Mensch Eiszeiten überlebt, die Welt besiedelt und Filme über Freundschaft gedreht wie Brother, The Shawshank Redemption, Metropolitan, Träume bis ans Ende der Welt, Mein erstes Wunder, Half Nelson, Harold und Maude, Cookies Fortune, Tokio Story, Good Will Hunting, Absolute Giganten, Harry und Sally, Kissing Jessica, Withnail & I, Ghost World, Sommer vorm Balkon, Freundinnen, Lassie, Flipper, Fury, Stand by Me, Goonies, About A Boy, Kitchen Stories, Elling, Miller’s Crossing, Doppelpack, sowie die Schlussszene aus Down By Law. Schließlich noch den grausigsten Film über Freundschaft überhaupt, nämlich Der Wald vor lauter Bäumen, in dem ein einsamer Mensch eine Freundschaft anzubahnen versucht und auf ganzer Linie scheitert: Freundschaft als zwischenmenschliche Katastrophe.
Wenn einem solches widerfährt, kann man natürlich immer noch ins Kino gehen und sich mit Filmen anfreunden. Einige meiner besten Freunde sind Filme wie »Brazil« von Terry Gilliam oder »The Hudsucker Proxy« von den Coen-Brüdern. Sie erfüllen viele Kriterien einer Freundschaft – wir sehen uns oft, sie haben immer Zeit für mich, doch drängen sich nicht auf, sie sind loyal, man muss sich voreinander nicht verstellen, sie reden mir nicht nach dem Mund, aber wir sind uns in vielem einig. Ein anderes unterschätztes Phänomen ist Freundschaft, die durch gemeinsames Durchleiden schlechter Filme zusammengeschweißt wird. Man geht mit entfernten Bekannten ins Kino, ist anderthalb Stunden lang entsetzt und empört, echauffiert sich hinterher gemeinsam und schon hat man einen neuen Freund gewonnen. Und schließlich hat auch die Herstellung eines Films ganz wesentlich mit Freundschaft zu tun. Das ist bei keiner anderen Kunst so ausgeprägt. Beim Schreiben erst recht nicht, manchmal aber doch. Danke Freunde für eure Mithilfe. Lasst uns mal wieder zusammen ins Kino gehen.