Die Parlamentsräte Michel de Montaigne und Étienne de la Boëtie lernten sich in Bordeaux kennen. In den Wirren der französischen Bürgerkriege erlebten beide eine Freundschaft, »die das Schicksal nur einmal in drei Jahrhunderten zustande bringt«. Leider währte sie nur kurz. Vier Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen starb Boëtie mit erst 33 Jahren an der Ruhr. Für Montaigne bedeutete der Tod des Freundes einen Wendepunkt in seinem Leben. Über Jahre verbarg er sich mit seiner Trauer in einem Turmzimmer des Schlosses Montaigne, zog die Einsamkeit anderen, oberflächlicheren Freundschaften vor und duldete als Gesellschaft nur seine rund eintausend Bücher.In seinem Essay »Von der Freundschaft« setzte Montaigne dem Freund ein Denkmal und trug auf seine hellsichtige, sorgfältig abwägende Art all das zusammen, was eine Freundschaft bis heute im Kern ausmacht: Freundschaft, meint Montaigne, dient keinem anderen Zweck als sich selbst. Zur Freundschaft entscheidet man sich ganz aus freiem Willen, und im Gegensatz zur »unsteten, veränderlichen Fieberhitze« der Liebe bedeutet Freundschaft »eine allgemeine und alles erfüllende Wärme (…); eine beständige und ruhige, ganz Innigkeit und Zartheit, die nichts Brennendes oder Durchbohrendes hat.« Völlige Offenheit zeichnet wahre Freundschaft aus: Man weiß alles voneinander, man teilt alles miteinander. Grundlage dafür ist ein ähnliches Selbst- und Weltverständnis, ein Gleichklang der Seelen: »In der Freundschaft, von der ich spreche, mischen und vereinigen sich beide in dermaßen völliger Verschmelzung, dass sie ineinander aufgehen und die Naht, die sie verbindet, nicht mehr finden.« Die Freundschaft, wie sie Montaigne mit Boëtie erlebt hat, scheint tatsächlich ein seltener Glücksfall gewesen zu sein: »Wenn man in mich dringt, zu sagen, warum ich ihn liebte, so fühle ich, dass sich dies nicht aussprechen lässt, ich antworte denn: Weil er er war; weil ich ich war.«
Michel de Montaigne: Von der Freundschaft, dtv, 6,00 €