Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts verschwand der Primarius, der Solist wurde zum ersten Geiger, und das Quartett verschmolz zur Einheit: 4 x 1 statt 1 + 3. Eine Kunstform verfeinerte sich über den Weg praktizierter Demokratie: vier gleichberechtigte Partner, eine vierfache Entscheidung zum Leben als Streichquartett. Keine glamouröse Solokarriere, keine ruhige Beamtenstelle im Orchester, sondern gegenseitige Abhängigkeit und eine eigene Stimme. »Ehe zu viert« hieß ein Fernsehporträt über das Alban Berg Quartett, und einem Ehevertrag ähnelt das Abkommen allemal. Allein die Basis ist eine andere: Nicht die Liebe zueinander, sondern die Liebe zur Musik, zum Streichquartett führt die Partner zusammen – führt sie auf Konzertbühnen, in Reisebusse und in den Proberaum.Ständig sind sie da, die anderen, und kritisieren, diskutieren und haben ihre eigene Vorstellung von der Musik. Unmöglich, gleichgültig zu bleiben; man muss sich auseinander setzen, permanent. Ist man zwangsläufig befreundet? Keine Freundschaft könne tragen, was eine Ehe zumute, meinte Hannah Arendt. Doch was ist, wenn man faktisch eine Ehe schließt, aber die Liebe als Fundament nicht hat? Enger als im Streichquartett kann man nicht zusammenarbeiten, nirgends ist man so sehr Individuum und Kollektiv zur gleichen Zeit. Bescheidenheit und Respekt muss man ebenso mitbringen wie Leidenschaft, eine Interpretation und einen Charakter. Der Musik hat man sich so unterzuordnen, dass man ständig auf Augenhöhe bleibt mit den anderen drei. Die eigene Stimme gibt Autorität und nimmt in die Pflicht; ruinieren kann man ein Konzert allein, brillieren nur zu viert. Freundschaft mag nicht zwangsläufig daraus entstehen, wohl aber eine tiefe, fast animalische Kenntnis der anderen, die es geradezu unmöglich macht, ihnen nicht mit Sympathie zu begegnen.
Sonia Simmenauer, Muss es sein? Leben im Quartett, Berlin: Behrenberg Verlag 2008.