Demokratien sind geprägt durch ein Wechselspiel zwischen den politischen Handlungen gewählter Volksvertreter und deren allgemein-öffentlicher Anschlussfähigkeit. Dies wird jedoch zunehmend durch eine Praxis überlagert, wonach überforderte Repräsentanten ihre ressortmäßige Verantwortung an das mehr oder weniger esoterische Wissen demokratisch nicht legitimierter Fachleute abtreten. Relevante Expertise wird dabei fast gänzlich mit ökonomischem oder technischem Sachverständnis auf aktuellstem Stand identifiziert. Während Manche hier die platonische Utopie der unbestechlichen Regierung durch die besten Köpfe erhoffen, warnen Andere vor einer autoritären Expertokratie. In diesem Kontext spinnt Michel Houellebecqs Roman Soumission das politische Szenario in zweifacher Hinsicht weiter: Einerseits zeichnet er das Bild einer dezidiert religiös geprägten Expertokratie von Glaubenswächtern, die unsere Gemeinschaft sowie moderne Wissenschaft in den Dienst reaktionärer Dogmatik stellt. Andererseits denkt er das Prinzip liberaler Volksherrschaft insofern zu Ende, als dass diese sich per Wahl selbst demontiert - sprich sich die Freiheit zu einer totalen Unterwerfung nimmt. So münden aufgestaute soziale Verwerfungen innerhalb der französischen Gesellschaft bei Houellebecq gerade nicht in staatlicher Zerrüttung, sondern in der demokratischen Wahl eines (vorerst gemäßigten) islamischen Regimes. Hier rächt sich der gleichgültige Opportunismus des europäischen Bürgertums gegenüber einer expertokratischen Aushöhlung der Demokratie: Da man zuvor die sachpolitische Exklusion und Apathie der in ihrer gesellschaftlichen Gesamtheit naturgemäß laienhaften Öffentlichkeit vorantrieb, lassen sich nun zur Abwehr einer mehrheitlich legitimierten Epigonie keine genuin demokratischen Kräfte mehr mobilisieren. Einzig sich der illiberalen, patriarchalen Anti-Moderne widerstandslos doch voller Passion hinzugeben, steht allen noch frei. Kurz: Ein Buch der wichtigen Fragen zur richtigen Zeit.