Möglichst unbefangen möchte sich die Autorin in eine Sammlung von Aufsätzen zum Spekulativen Realismus vertiefen, um ihr Chancen für die ermattenden Diskurse der zeitgenössischen Kunst zu entlocken - sie scheitert. Wieso nur wirft sich die Kunstwelt so bereitwillig in die Arme der selbsternannten jungen Wilden der ästhetischen Philosophie? Das Protokoll ihrer aufschlussreichen Lektüre. Nach der klugen Besprechung einer Publikation zum »Speculative Turn« (in der Frank Ruda dem Spekulativen Realismus seine inhärente »Totalisierung der Kontingenz« anlastete) im Juni 2012, löst die Themenausgabe der Texte zur Kunst (TZK) zwei Jahre danach doch einiges Befremden aus. Irgendwie ähnelt es ein bisschen jenem, das einen befällt, wenn die eigenen Eltern in die Midlife-Crisis schliddern und unbedingt noch mal jung und hip sein wollen. Wie zuvor bereits für Spike lädt Armen Avanessian als Gastredakteur darin zum Stelldichein der »Bewegung«: Steven Shaviro erklärt den »Spekulativen Realismus für Anfänger«, Suhail Malik geht es um den »Wert von Allem und Jedem« und schließlich verkündet Avanessian selbst in knackigen 15.000 Zeichen »Das spekulative Ende des ästhetischen Regimes«. Die sonst so geschätzte Zeitschrift belässt es ergänzend bei einem - in Anbetracht der vollmundig postulierten ästhetischen Zeitenwende - ungewohnt schmalen Brainstorming zum Begriff der Spekulation: mehr oder weniger lesenswerte Sentenzen prominenter Kulturarbeiter. Alles andere als eine kritische Auseinandersetzung mit den konkreten Behauptungen des Spekulativen Realismus. Im Gegenteil, heißt es doch im Vorwort der Ausgabe stolz, man habe mit Avanessian eine echte »Insider-Position« gewinnen können. Die vordergründige Geste ist die einer euphorischen Affirmation.
Auch wenn es schwer fällt, alle Eindrücke bisheriger Lektüren zum Spekulativen Realismus abschütteln, versuche ich dieser erneuten Einführung in einen ästhetisch-philosophischen Paradigmenwechsel möglichst unvoreingenommen zu begegnen. Schließlich können Paradigmenwechsel fantastische Herausforderungen ans Denken sein! Richtige »Chancen«, wie sie uns TZK mit »Insider« Avanessian versprach.
Enthusiastisch angewärmt als »Sprung ins grundlegend Ungewisse« wird uns das Verfahren des Spekulativen Realismus dann auch gleich im Vorspann zum ersten Artikel von Steven Shaviro. Der beginnt seinen »Spekulativen Realismus für Anfänger« entsprechend waghalsig und watet erst mal großzügig durch die Philosophiegeschichte. Als philosophischem Laie wird einem da vielleicht etwas mulmig. Etwa, wenn der Autor gleich im ersten Satz mal klarstellt, die westliche Philosophie habe in den letzten 250 Jahren der »Epistemologie das Primat gegenüber Ontologie eingeräumt«. Man denkt an den Einfluss von Heideggers Ontologie auf die französische Philosophie des 20. Jahrhunderts, an Sartre oder daran, dass auch Deleuze sich als Ontologe begriff. Man denkt vielleicht auch an den »ontologischen Ton« (Thomas Khurana) den man zuletzt bei Agamben, Nancy und Badiou ausmachen konnte. Aber wischen wir all das beiseite! Gehen wir davon aus, die letzten 250 Jahre Philosophie wären überwiegend Epistemologie gewesen. Wir müssen, wenn wir der Darstellung von Shaviro folgen wollen, sowieso annehmen, dass seit Kant in der Philosophie nicht viel passiert ist. Kant selbst ist der Bad Guy dieser Erzählung des Spekulativen Realismus, der ultimative Fiesling. Einer, der »Verbote« erteilt und uns in »Zwangsjacken« steckt. Glauben sie nicht? Sie haben vielleicht selbst mal Kant gelesen? Am Besten gleich vergessen. Vorwissen schadet der Dramaturgie des Literaturprofessors, beim jugendlichen »Sprung ins grundlegend Ungewisse«. [...]