Vater und Sohn - Zuckerschädel - Fahrradmod - Rohrkrepierer - Palatschinken - Tag X - Teufelsmaul - Ms. Marvel - Fables - Sex Criminals - Nonplayer - Der weisse Lama - Silver Surfer - Buddha - Lazarus - Low - Outcast - Nowhere Men - Caravaggio - Monika Zur feierlichen Eröffnung der Comic-Kolumne ein kurzes Comic-Manifest in 10 Punkten:
1. Comics agieren im Dienst der Aufklärung, indem sie die Lücken in den Geschichten sichtbar machen. Während der Film in aller Regel die Schwarzblende für unser Auge zum Verschwinden bringt, legt der Comic sie offen, zwischen jedem Bild. Das Dazwischen passiert im Kopf des Betrachters.
2. Comics nehmen damit das explizit auf, was für Kunst implizit eh immer gilt: Sie beruht auf einer Co-Produktion zwischen dem in Vorlage tretenden Künstler Nr. 1 und dem in der Rezeption weiter arbeitenden Künstler Nr. 2. Der Künstler Nr. 2 als Interpret, Erfinder und Wahrheitssuchender in den Zwischenwelten, als Verbinder zwischen den Punkten. Diese Co-Produktion geht so weit, dass beim Comic der Leser entgegen dem Film-Diktat von mindestens 24 Bildern/Sekunde die Bilddauer selbst bestimmt. Er verweilt nicht nur vor Schlüsselszenen, sondern gerne auch vor abseitigen Details, wie vor einem Stillleben. Die Zeit steht still.
3. Comics sind deshalb nicht nur eine Schule der Fantasie, die die Schwarzblenden ausfüllt. Sie sind auch eine Schule der Wahrheit, die die blinden Flecken in unseren Geschichten offenlegt - und damit ein Aufruf zur Wahrheitssuche. Vieles von dem was war, ist weg oder unklar. Ebenso von dem was ist oder sein wird. Man kann die Leerstellen zwischen den Sequenzen wegretouchieren - aufklärerische Kunst zeigt sie und nimmt Suche auf.
4. Gleichzeitig hat der Comic die kulturelle Kraft zur Beglaubigung, die nur Bilder haben. Etwas zu zeigen erinnert uns an die Möglichkeit der Wahrheit des Gezeigten. Und so ist der Comic besonders da gefragt, wo er sich weder auf »Dokumentation« noch auf »Weltflucht« beschränkt, sondern die Möglichkeiten auslotet, was war, ist oder sein wird. Es ist das Hereinbrechen der Möglichkeit in das Reale, im Guten wie im Schlechten, das der Comic für uns leichthändig erkunden kann.
5. Comics sind deshalb auch eine Entgegnung auf all die religiös oder weltlich begründeten Bildverbote, die uns vorenthalten wollen, was sein könnte - und in aller Regel auch ist. Das Wahre, Gute und Schöne ebenso wie das Unwahre, Schlechte und Hässliche. Das ganze Glück. Der ganze Horror.
6. Comics sind zur Sichtbarmachung all dieser Entdeckungsreisen in der Lage, ohne wie im Film eine Armada an Effektarbeitern zu beschäftigen. Ein Beitrag zur Demokratisierung der Kunst. Ein Zeichner, ein Autor, ein Kolorist - oft alles in einem. Ein Federstrich und ein Universum explodiert.
7. Die reale Drastik der Welt braucht die Kraft der Entgegnung, braucht Superkräfte. Ganz unmetaphorisch. Wie auch das Wissen um die Gefahren der eigenen Kraft. (Ein kleiner, türkischstämmiger Spiderman kommt morgens an der Hand seiner Mutter in die Kita, ich spüre die Kraft, gegen die die von Spiderman eine Untertreibung ist - und zähle auf sie.)
8. Comics sind eine eigene Kunstform - neben Malerei, Bildhauerei, Zeichnung, Grafik, Architektur, Fotografie, Fernsehen, Film und weiteren. Und chronologisch betrachtet sie sicher nicht erst die »9. Kunst« (Francis Lacassin). Das ist so offenkundig, dass man auf die seltsame Diskussion darum im deutschsprachigen Raum kein Wort mehr verlieren sollte.
9. Comics als sequenzielle Bildfolgen - ob mit oder ohne Text - haben den Namen »Comics« verdient, und sollten nicht - als müsste man sich dafür rechtfertigen oder schämen - als »Graphic Novels« verklausuliert werden. Jeder Comic ist allein durch die Bildabfolge eine »Graphic Novel« in einem weiten Sinn (und bei weitem nicht jede selbstdeklarierte »Graphic Novel« ist eine »Erzählung« im engeren Sinn).
10. Gerade weil Comics eine elementare Kunstform sind, brauchen wir dringend eine ernsthafte Comic-Kritik, anstatt der albernen Trennung zwischen Comicfans und Comicskeptikern bzw. -ignoranten. Zwischen einzelnen Jubelarien und großem Schweigen ist im Blätter- und Bildschirmwald nicht viel zu finden. (Ein weitverbreitetes Problem des »Popjournalismus«). Es gibt herausragende Comics, grottenschlechte, und vieles dazwischen. Comics ernstnehmen heißt, über sie zu streiten. [...]