Wikipedia ist der Maschinenraum des Weltwissens. Doch ob bestimmte Tatsachenbehauptungen wahr oder falsch sind, entscheiden längst nicht mehr nur Menschen. Die Entwicklung vom Mitmach-Netz zum Semantic Web setzt auf strukturierte Daten und deren algorithmische Verknüpfung. Was in der Theorie nicht funktionieren konnte, ist in der Praxis mittlerweile das größte Schreibprojekt der Menschheitsgeschichte geworden: Die Wikipedia, 2001 aus der Taufe gehoben, hat mit ihrer wahnwitzigen Vision, das gesamte Weltwissen frei zur Verfügung zu stellen, Abertausende von freiwilligen Autoren und Abermillionen von Lesern gefunden. In über 290 Sprachversionen wird permanent an alten und neuen Lemmata gewerkelt, die tolle Real-Time-Soundinstallation »Listen to Wikipedia« (http://listen.hatnote.com/) gibt eine Ahnung von der Betriebsamkeit dieses bildungsbeflissenen Bienenstocks.
Allein, es scheint eine gewisse Tragik in der Tatsache zu liegen, dass für viele Nutzer des digitalen Nachschlagewerks Wikipedia zu der verlässlichsten Quelle schlechthin geworden ist. Die ständige Klage von Lehrern und Professoren, wonach ganze Hausarbeiten aus der Wikipedia entlehnt würden, deutet auf ein althergebrachtes Verständnis von Referenz, das die in der Wikipedia präsentierten Fakten und Gewichtungen ebenso wenig hinterfragt wie früher den Brockhaus. Dies steht jedoch im eklatanten Widerspruch zu den Wurzeln dieses Projekts, das aus der Open-Source-Kultur kommend Vorläufigkeit und den Mut zu Fehlern ausdrücklich ermunterte. Dass das Ganze ein work in progress sein sollte und eben kein mit Goldkante verziertes last word, war die Übereinkunft jener selbstorganisierten Projektpioniere, die sich enthusiastisch an das Schreiben der ersten Artikel machten und heute immer mehr mit Qualitätskontrolle und der Abwehr von PR-Agenturen beschäftigt sind.
Fehlerfinder am Werk
Wikipedianer sind keine Wahrheitssucher, sie sind Fehlerfinder. Den initialen Antrieb, an der Online-Enzyklopädie mitzuarbeiten, schilderte ein Wikipedianer neulich so: »In einem Artikel war etwas falsch. Das konnte ich nicht so gut vertragen.« Das Defizitäre, Unfertige ist also Wesensmerkmal dieser Enzyklopädie und ihrer sozialen Dynamik. Um allerdings eine objektive Hürde für die Aufnahme neuer Inhalte zu etablieren, wurde die Nachprüfbarkeit von Aussagen zu einer notwendigen Bedingung für die Mitarbeit - und das Regelwerk darüber komplex. In der englischen Wikipedia ist unter dem Shortcut WP:V die umfangreiche Quellen-Policy dargelegt, deutsche Nutzer halten sich an die Hilfeseite WP:Belege. [...]