20, 96, 94. Das sind die Koordinaten des Weges, den Deutschland allein auf Bundesebene in den letzten beiden Jahrzehnten in Sachen wissenschaftlicher Politikberatung zurückgelegt hat. 20 Kommissionen, die - zählt man ihre Tätigkeitsdauern zusammen - auf gut 96 Jahre Kommissionsarbeit kommen, sowie 94 Beratungsgremien, auf die die Bundesregierung ständig zurückgreift. Hinzu kommen zahllose parlamentarische Anhörungen von Expertinnen und Experten, eine kaum überschaubare Zahl an Gutachten und Stellungnahmen und, und, und. Kurz und gut: An einem mangelt es der politischen Landschaft in Deutschland nicht: an Beratung. Allerdings lässt sich angesichts schlechter Zufriedenheitswerte und des demokratischen Lochfraßes der Politikverdrossenheit kritisch rückfragen, ob die Politik mit der Art und Fülle an Beratung auch wirklich gut beraten ist. Haben sich Qualität, Zustimmung und Legitimation politischer Entscheidungen durch das wissenschaftliche backup erhöht? Und wie verändert der Wandel hin zur Expertokratie Politik im Inneren? Widerspricht die rein sachorientierte Beratung durch Expertinnen und Experten nicht dem demokratischen Prinzip der Mehrheitsentscheidung und kommen bei der Versachlichung politischer Debatten nicht politische Grundsätze, wie etwa der des Interessenausgleichs, unter die Räder, so dass sich der Wissenschaftsoptimismus mitsamt der großen Flut an Fachwissen letztlich nicht Segen, sondern Fluch für eine lebendige Demokratie erweist? Aschenputtel und die Ameisen
Die eigentümliche Entwicklung hin zur Expertokratie verwundert zunächst und wird noch erklärungsbedürftiger, wenn man sie durch die systemtheoretische Brille des Soziologen Niklas Luhmann betrachtet. Luhmann hatte all die verschiedenen Erscheinungsformen, Operationen und Prozesse der Politik in modernen Gesellschaften darauf heruntergebrochen, kollektiv verbindliche Entscheidungen hervorzubringen. Die Wissenschaft, die als Beobachterin zweiter Ordnung das Gesellschaftsgeschehen aus der Distanz begleite, habe dagegen die Funktion, Aussagen über das Beobachtete zu treffen, indem sie wahre und unwahre Behauptungen unterscheide. Sprich: Während die Politik mit immer neuen Entscheidungen in Ameisenmanier emsig am Erhalt oder Umbau der gesellschaftlichen Ordnung werkelt, hebt und senkt die Wissenschaft ihren Daumen über diesen Trubel und sortiert - Aschenputtel lässt grüßen - alles fein säuberlich in zwei Töpfchen: das der wahren und das der unwahren Aussagen. [...]