Bilder können Situationen festhalten, die sich vor dem Auge, vor der Linse, in der Welt zutragen; sie können auf etwas verweisen oder Anweisungen zur Herstellung von etwas geben, das anschließend außerhalb des Bildes zu sehen wäre. Doch neben diesen abbildenden Bildern gibt es Arten von Bildern, die etwas zu zeigen vermögen, für das es in der Realität kein Gegenstück gibt, das man folglich nicht mit bloßem Auge außerhalb des Bildes anschauen könnte. Beispiele hierfür sind: Skelette, Röntgenaufnahmen, fMRT-Aufnahmen, astrophysikalische Bilder, die elektromagnetische Strahlung visualisieren, mikroskopische Aufnahmen, Zeitlupen, Zielfotos. Doch auch viele künstlerische Bilder, insbesondere Malereien, fallen in diese Kategorie. Diese Bildarten entfalteten eine Visualität, mit der etwas Neues in die Welt kommt. Sie zeigen etwas Unvergleichliches, Unvordenkliches, nur Sichtbares, das Aufschluss gibt über die Wirklichkeit. Man könnte vermuten, dass diesen Bildern, vor allem den künstlerischen, mangels Vergleichsmöglichkeit vor allem eine ästhetische Wahrheit eignet. Diese würde sich etwa in der Gestaltung und »strengen inneren Durchbildung« finden. Doch diese formal-stilistische Wahrheit ist offenbar weder das, was wir in Röntgenbildern sehen, noch das, was uns beispielsweise Cézanne oder Andy Warhol über die Welt eröffnen. Neben den dominanten Wahrheitstheorien, der Korrespondenz- und der Ereignistheorie und den Theorien zur ästhetischen Wahrheit, gibt es daher noch mindestens eine vierte Möglichkeit, über Wahrheit nachzudenken. In dieser vierten Variante wird nicht die Wahrheit einer Aussage festgestellt, es wird kein Wahrheitsgeschehen bezeugt und keine subjektive Wahrheitserfahrung ausgelöst; vielmehr kommt hier die Wahrheit selbst zum Vorschein.
Wenn ich der Wahrheit selbst ins Gesicht sehen könnte, dann wäre sie keine Entsprechungsrelation und kein Entbergungsgeschehen. Was kann ich über die Wahrheit selbst wissen? Wenn die Wahrheit selbst mir in bildhaft-körperlicher Gestalt vor Augen tritt, kann ich mich zu ihr verhalten, sie erfahren, bezweifeln, untersuchen. Wenn man diese Wahrheit herstellen kann, nämlich im Modus des Bildes, dann kann man, in Abgrenzung zu Foucaults »Veridiktion« von einer Verifikation sprechen: eine hergestellte, vorgezeigte Wahrheit. Sie benötigt keinen Sprechermut, sondern stellt etwas in die Welt, das diese intuierbar, anschaulich und damit verständlicher macht. Diese Verifikation wäre damit weniger das Beibringen von Gründen, um etwas für wahr zu halten, als vielmehr die Exposition von etwas als anschauliche Gewissheit, als manifeste Wahrheit, die Transformation von etwas in eine pikturale Evidenz. [...]