Die Technokratie ist nicht in der Krise, doch die Krise ist die Stunde der Technokratie. Dieser Befund zur Lage nach beinahe fünf Jahren Staatsschuldenkrise in Europa wird von unterschiedlichsten Kommentatoren geteilt. Doch was genau ist eigentlich unter technokratischem Regieren zu verstehen und inwiefern verdient es überhaupt kritische Aufmerksamkeit? Die Europäische Union zwischen demokratischem Defizit und Regulationsstaat
Europäischer Politik und der Europäischen Union in ihren unterschiedlichen Inkarnationen haftet von je her das Etikett der Technokratie an. Man vermutet eine wuchernde Bürokratie, die von menschgewordenen Aktenordnern um ihrer selbst willen am Laufen gehalten wird. An der Spitze jenes Monstrums steht dem Klischee gemäß eine transnationale Elite - die sogenannten Eurokraten -, die unter der Käseglocke der Brüsseler EU-Welt davon träumen, dass am supranationalen Wesen die europäische Welt genesen könne - notfalls auch gegen den Willen des Patienten. Und wo gegen Bürokratie und Eurokraten polemisiert wird, da liegt der Vorwurf der Technokratie nie fern. Doch ist nicht immer klar, was genau mit diesem Begriff gemeint bzw. problematisiert wird. Ein erster Ansatzpunkt zur Klärung im europäischen Kontext könnte der Zusammenhang zwischen Technokratie und fehlender demokratischer Legitimation sein, was unweigerlich auf das vielbeklagte Demokratiedefizit der EU verweist. Das demokratische Defizit ist ein Dauerbrenner der EU-Forschung und warum auch nicht? Europäische Institutionen wie die EU-Kommission, der Europäische Gerichtshof oder die Europäische Zentralbank verfügen für sich nur über eine vergleichsweise dünne demokratische Legitimation. Dagegen war diejenige europäische Institution, die man zunächst einmal für das wichtigste Glied in der demokratischen Legitimationskette halten könnte, nämlich das Europäische Parlament, über viele Jahre ein Schatten seiner selbst und hat erst mit den Reformrunden seit Anfang des neuen Jahrtausends eine robustere Kompetenzausstattung erhalten - aber nach wie vor etwa kein Initiativrecht im normalen Gesetzgebungsverfahren. Im Lichte dieser institutionellen Konstellation erscheint das Problem der Technokratie zunächst einmal als Gefahr der Verselbständigung bürokratischer Apparate gegenüber einem schwachen Parlament als einzig demokratisch legitimierter Gewalt. [...]