Nirgendwo wird die »Wissenschaftlichkeit« wohl stärker problematisiert als im Bereich der Genderforschung. Ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin und Gender-Theoretikerin Gabriele Dietze über das Selbstverständnis der gender-studies als »kritische Wissenschaft«. polar: »Feminismus ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Antwort auf Statistiken,« so zitiert Sabine Hark im aktuellen Fluter die Journalistin Ingrid Kolb. Wenn das so ist, warum wird gerade den Gender Studies wissenschaftliche Legitimität und Autorität abgesprochen?
Dietze: Wenn man über Statistiken redet, redet man über Ungleichheit von Männern und Frauen in Jobs, Gehalt, Rente, Lebensalter etc. Männer und Frauen werden in diesem Zusammenhang als zwei Statusgruppen begriffen, deren ›natürlicher‹ Unterschied nicht angezweifelt wird. Wenn wir aber von ›Gender‹ sprechen, dann gehen wir davon aus, dass das, was als weiblich und männlich verstanden wird, eine Frage der Zuschreibung und der sozialen Konstruktion ist. Damit sagen wir gleichzeitig, das Geschlechterverhältnis könnte auch anders konfiguriert sein, als man es im Moment vorfindet. Der Kampf gegen Gender Studies nährt sich also aus dem Verdacht, dass man dort an einer Revolutionierung der Geschlechterverhältnisse arbeitet. Damit geriete die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die im Moment noch als vollkommen normal angesehen wird, in Gefahr, nämlich dass Frauen den Löwenanteil an Hausarbeit, Kinderversorgung, Altenpflege und emotionaler Stabilisierung der Familie leisten. Deswegen berührt die Annahme, Geschlecht sei keine natürliche Tatsache, sondern eine soziale Konstruktion, die historisch und kulturell geworden und deshalb auch wandelbar ist, ganz andere Konfliktfelder als Ungleichheits-Statistiken.
polar: Gegenwärtig formiert sich der sogenannte Anti-Genderismus als eine Bewegung, die gegen Gender-Forschung als alternatives Wissensmodell auftritt. Zuletzt wurden Gender Studies vermehrt auch in bürgerlichen Leitmedien und von Wissenschaftlern als Politik und Ideologie abgetan, die nicht wissenschaftlich sei. Welche Rolle spielt die Selbstautorisierung innerhalb dieses Spannungsfeldes zwischen aktivistischen und politischen Praxen und kritischer Wissenschaft für einen selber als Forscherin?
Dietze: Ich will die Frage mal anders stellen: Wissenschaft, die sich als angeblich neutral ausgibt, ist ja nicht neutral. Das heißt, die meisten Ansätze, die über Menschen reden, tun ja so, als gäbe es keine zwei Geschlechter. Ihre ›Neutralität‹ besteht ja implizit darin, dass sie eigentlich nur über Männer reden. Deswegen hat es eine gewisse Perfidie, dass diejenigen, die darüber reden, dass Menschen als weiblich und männlich konstruiert werden, und dass das ein Machtverhältnis ist, angeblich nicht wissenschaftlich sein sollen. Insofern kann ich mich gar nicht darauf einlassen, zu sagen, dass man, wenn man über Gender nachdenkt, parteilich oder politisch ist, und dass man, wenn man nicht über Gender nachdenkt, neutral ist. Und jetzt zur Frage, dass Gender Studies keine Wissenschaft sein könne, da sie ja politisch sei. Man würde keinen Politologieprofessor, der der SPD, den Linken oder den Grünen zugeneigt ist, vorwerfen, dass seine Analysen sich mit Verteilungsgerechtigkeit beschäftigen und einen ›linken‹ Touch haben. Man wirft aber Frauen, die Gender Studies betreiben und mit der feministischen Bewegung verbunden sind, vor, dass sie Frauenpolitik machen. [...]