Das, was ich »neuen Realismus« nenne, ist in der Tat vor allem die Kenntnisnahme einer Wende. Die historische Erfahrung der populistischen Medien, der Kriege nach dem 11. September und der jüngsten ökonomischen Krise hat zu einem zentnerschweren Widerruf dessen geführt, was aus meiner Sicht die beiden Dogmen der Postmoderne sind: dass die gesamte Realität gesellschaftlich konstruiert und unbegrenzt manipulierbar sei und dass die Wahrheit ein unnützer Begriff sei, da die Solidarität wichtiger sei als die Objektivität. Die realen Notwendigkeiten, die realen Leben und die realen Toten, die nicht auf Interpretationen reduziert werden können, haben ihre Rechte geltend gemacht und die Meinung bestätigt, dass der Realismus (genauso wie sein Gegenteil) nicht nur auf die Erkenntnis Auswirkungen hat, sondern auch auf Ethik und Politik. Die Postmoderne hält Einzug in die Philosophie mit einem kleinen Buch (109 Seiten) des französischen Philosophen Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen, erschienen im September 1979, das vom Ende der Ideologien sprach, also von denen, die Lyotard die »großen Erzählungen« nannte: Aufklärung, Idealismus, Marxismus. Diese Erzählungen waren abgenutzt, man glaubte nicht mehr an sie, sie hatten aufgehört, das Gewissen aufzurütteln und Wissen und wissenschaftliche Forschung zu rechtfertigen. Es war eine Krise, aber -scheinbar- keine Tragödie, weit entfernt von den Dramen und den modernen Guillotinen, in einer Epoche, die nicht vorhersehen konnte, was von da an in Kürze passieren sollte, vom Balkan bis zum Nahen Osten, von Afghanistan bis Manhattan. Die Leichtigkeit, mit der die Pandemie sich ausbreitete, hing nicht nur mit dem zusammen, was man etwas dunkel »Zeitgeist« nennt, sondern vor allem mit der Tatsache, dass die Postmoderne auf den Schultern einer kosmopolitischen Reihe von Eltern steht: der englische Historiker Arnold Toynbee, der von ihr in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts gesprochen hatte, der deutsche Anthropologe Arnold Gehlen, Theoretiker der »Post-Histoire« in den fünfziger Jahren, der Schriftsteller Kurt Vonnegut, der in den sechziger Jahren schwarzen Humor mit Science-Fiction mischte, der amerikanische Architekt Robert Venturi, der in den frühen siebziger Jahren den Disney-Stil von Las Vegas rehabilitierte. Am Anfang von allem stand in den dreißiger Jahren sogar der spanische Literaturwissenschaftler Federico de Onís, der auf diesen Namen eine dichterische Strömung taufte. [...]