Neuzeitliche Wissenschaft ist nach dem philosophischen Programm ihrer Gründer und Verteidiger gerade nicht zweckfrei, sondern an einen allgemeinen humanen Zweck gebunden. Sie ermöglicht im gelingenden Falle, das Verfügungswissen zu erlangen, das gebraucht wird, um die Befreiung des Menschen von natürlichen und sozialen Zwängen zu bewirken. Weil Wissenschaft in diesem Sinne »praktisch« sein kann, ist sie das entscheidende kognitive Instrument, das die Gesellschaft benötigt, um das für politische Entscheidungen nötige Wissen zu erwerben. Allerdings ist Wissenschaft nicht selbst Politik: Sie ist nicht legitimiert, Entscheidungen der gesellschaftlichen Selbstorganisation zu treffen. Somit haben Wissenschaft, Gesellschaft und Staat in ein funktionelles Verhältnis von Beziehung und Unabhängigkeit zu treten, dessen gegenwärtige Ausgestaltung in Deutschland freilich wenig zufriedenstellend ist. Wissenschaft und Macht
Wäre Wissenschaft ein Resultat zweck-loser Kontemplation, dann würde sie keine Folgen für die Gesellschaft haben und somit auch keine Probleme erzeugen, mit Ausnahme derjenigen Probleme, die sich daraus ergeben, dass Müßiggänger irgendeine materielle Subsistenz brauchen. Weswegen ja die vorneuzeitlichen Wissenschaftler und Philosophen in der Regel reich, unbedürftig oder als Mitglieder von Klostergemeinschaften beides waren. Die Macht, die neuzeitliche Wissenschaft demgegenüber ausübt, soll sie nach dem Konzept der Gründer neuzeitlicher Wissenschaft in der Tat im Rahmen einer Art Politikberatung, besser »Gesellschafts«beratung (J. Mittelstraß) ausüben, weil ja die Adressaten der Beratung nur vordergründig die politischen Akteure im engeren Sinne sind. Wenn Wissenschaft ein Element der Selbstorganisation wissenschaftlich-technisch geprägter Gesellschaften ist, dann sprechen wir eigentlich über eine Form der durch Wissenschaft vermittelten gesellschaftlichen Selbst-Beratung. Damit aber wird das Verhältnis der Wissenschaft als Macht zu denen, die Macht haben und sich im demokratischen Staat dafür legitimieren müssen, besonders problematisch. Die Experten für die möglichen Folgen des Wissens, die Wissenschaftler, sind ja gar nicht direkt legitimiert, Macht auszuüben. [...]