Philosophie verfügt nicht über passende Methoden, reale politische Probleme angemessen zu analysieren. So sind die tatsächlich vorzufindenden Empfehlungen zur Lösung solcher Fragen meist trivial oder unterkomplex. Es wird geraten, zuerst geeignete Instrumentarien der angewandten bzw. konkreten Ethik zu entwickeln, bevor sich PhilosophInnen zu solch komplexen Fragen wie der der Flüchtlingspolitik äußern. Stolpersteine für einfache Antworten
»When philosophers shoot from the hip« - darüber schrieb einst James Rachels. Ihn beschäftigte insbesondere das wellenartig vorkommende Medieninteresse an seiner Expertenmeinung zu konkreten moralischen Problemen. Jeder Leser mag sich hier sein liebstes Moralproblem der letzten Jahre vorstellen und dann fragen, was sie oder er in drei Minuten geantwortet hätte. Mir scheint, die Antwort wäre entweder trivial gewesen - »Ja, schlimm, wie korrupt manche Transplantationsmediziner sind, sie gehen buchstäblich über Leichen und missachten die hehren Ziele der Medizin« - oder hoffnungslos unterkomplex - »Gesundheitsgerechtigkeit heißt, jedem Menschen die gleichen Gesundheitschancen zu garantieren«. Nun also sollen die Ethikexperten die Frage beantworten, was angesichts der Flüchtlingskrise geboten sei. Meine Voraussage ist, dass die Antworten, die in der Mailbox der Redaktion der Zeitschrift für Praktische Philosophie landen, entweder trivial oder hoffnungslos unterkomplex sein werden. Meine Diagnose, warum das so ist, lautet: Politische Philosophen oder Moralphilosophen haben kein Instrument, mit der sie aus der Hüfte komplexe Probleme erledigen könnten. Aber nicht nur das: Der Instrumentenkasten der derzeitigen Praktischen Philosophie taugt auch nur sehr bedingt zur normativen Analyse aktueller »Krisen«, wie der großen Flüchtlingsbewegung, die nun auch die Insel der Seligen - Deutschland und Österreich - erreicht. Moralische Normen, wie wir sie kennen, sind in erster Linie gedacht, um Handlungsanweisungen in relativ einfachen Situationen zu geben. Je komplexer ein Sachverhalt ist, umso weniger geeignet sind die Instrumente, wie sie gemeinhin in der Politischen und Moralphilosophie diskutiert und zum Teil entwickelt werden. [...]