polar #18: Politik der Lebensformen
EDITORIAL
AUSWEG
ALLTAG
AUTONOMIE
Christoph Menke So sind sie – So leben sie Autonomie und Befreiung
| Christian Berkes Airbnb, Wohntourismus 20 Thesen zum Plattformkapitalismus am konkreten Fall
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Viktor TóthTechno als Lebensform?Ein Selbstexperiment | »Techno ist monoton, düster und langweilig«. Will ich anderen meine ritualisierte Tanzleidenschaft erklären, stoße ich oft auf Vorurteile und Grenzen. Auch bei mir hat es einige Zeit gedauert, bis ich die Musik verstehen und mich auf sie einlassen konnte. Bis sie mich berührte und tanzen ließ. Heute kann ich mir mein Leben ohne die ritualisierten Sonntage kaum vorstellen.
Die Erwartungen, die der Techno im Vergleich zu anderen Musikrichtungen an den Hörer stellt, könnten unterschiedlicher kaum sein. Es ist unmöglich, sich zurückzulehnen und sich von den harten Bässen unterhalten zu lassen; auf eingängige Melodien wartet man in der Regel vergebens. Um die Wirkung der Musik genießen zu können, wird der Hörer bereits an dieser Stelle vor eine Herausforderung gestellt: Er muss zur Selbstaufgabe fähig sein.
Mittel zur Trance Der Hörgenuss selbst ist nur Mittel zum Zweck, es geht um den tranceartigen Zustand, der erst beim Hörer, später beim Tänzer hervorgerufen werden soll. Er soll sein Zeitgefühl, sein räumliches Vorstellungsvermögen und seinen Verstand, also einen Großteil seiner Individualität, hinter sich lassen und die Kontrolle über seine Wahrnehmung verlieren. Ein solcher Zustand ist eine Einladung zum Aktivwerden, zum Entdecken der Zeitlichkeit und Räumlichkeit nicht auf kognitiver, sondern biologisch-körperlicher Ebene oder anders formuliert: eine Einladung zum Tanzen.
Das Vergessen meiner geistigen Fähigkeiten und die bedingungslose Hingabe zur Musik und zum eigenen Körper führten mich zu ekstatischen Weihen. Dabei entdeckte ich meine eigenen, im Alltag unterdrückten oder sublimierten Triebe und lernte sie zu akzeptieren und zu schätzen. Ich ließ in mir schlummernde Impulse zu, überwand Ängste und Zweifel durch die schonungslose Konfrontation mit mir selbst. Ich wollte noch mehr Befriedigung, noch mehr Tanz innerhalb noch kürzerer Zeit, noch mehr Kreativität; mein Tanzstil änderte sich, die Bässe wurden härter und schneller. Ich begriff, warum der düsterste Techno bisweilen als »hedonistisch« bezeichnet wird. Die Bässe, deren Klang an das Stampfen eines wilden, mich verfolgenden Tieres oder auch an den gehetzten eigenen Herzschlag erinnern, verloren ihre Monotonie. Ich hatte die genaue Tiefe der Bassline unmittelbar nach jedem Beat schon wieder vergessen und erfand eigene Melodien. Techno war weder monoton, noch düster oder langweilig.
Das veränderte Selbst Regelmäßiges Tanzen hat meine Selbstwahrnehmung verändert. Zuvor definierte ich mich in erster Linie über politische Ansichten oder andere Früchte intellektueller Tätigkeiten. Mit jedem tänzerisch induziertem Rausch verblassen diese Ansätze stärker. Ich fühle mich ausgerechnet in jenen Momenten am individuellsten und freiesten, in denen ich die geringste intellektuelle Kontrolle über mich selbst innehabe. An die Stelle eines bewusst konstruierten Selbstbildes rückt ein »Selbstgefühl«, welches mich letztlich sogar intellektuell inspiriert. Nietzsches Geburt der Tragödie, die Upanischaden oder das Neue Testament lösen in mir etwas aus. Den Glauben an einen freien Willen habe ich verloren. Bedeutende Entscheidungen meines Lebens überlasse ich nun lieber der Intuition, denn einem bewussten Reflexionsprozess. Wenn ich dieses »Selbstgefühl« oder das, was Schopenhauer mit dem »Willen« in uns verband, auf andere Personen projiziere, empfinde ich vorher nie erfahrene Tugenden wie Toleranz und Empathie erstmals in einer mich prägenden Tiefe. Techno hat in meiner bis dahin rationalen Welt Ansätze einer übergreifenden Spiritualität wachgerüttelt. [...] |
| Martin Saar Bildpolitik: >Heimatschutz<
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