Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #18: Politik der Lebensformen




EDITORIAL

 
Peter Siller/Bertram Lomfeld
Editorial



AUSWEG

 
Rahel Jaeggi
Experimenteller Pluralismus
Lebensformen als Experimente der Problemlösung
 
Stefan Huster
In Freiheit leben
Die transformative Kraft einer liberalen Ordnung
 
Peter Siller
Macht es nicht selbst!
Vom Rückzug des Politischen ins Private geschlossener Lebensformen
 
Anna-Catharina Gebbers
Leben als Gesamtkunstwerk
Wagner – Beuys – Schlingensief
 
Lauren Berlant
Grausamer Optimismus
Warum Fantasien des guten Lebens scheitern
 
Thomas Schramme
Die Formung des menschlichen Lebens
Nachdenken über Mills Idee der Lebensexperimente
 
Christian Neuner-Duttenhofer
Abgetaucht
Warum wir politisch an uns selbst scheitern



ALLTAG

 
Stephan Lessenich
Alles so schön jung hier?
Lebensführung im Alter
 
 

Wolfgang Kaschuba

Schnelle Fluchten

Vom Umgang mit der Zeit


Dass die Zeit nur so dahinrast, gehört heute zu den gängigen Bildmotiven und Gesprächsfloskeln. Offenbar drückt sich in dieser Metapher unser Lebensgefühl ganz unmittelbar aus: im demonstrativen Verweis auf Tempo, Hektik, Zeitnot, Stress als wesentlichen Komponenten unseres Alltags. Dabei ist dieses Bild streng genommen falsch. Nicht abstrakte Zeitläufte rasen vor sich hin, sondern ganz konkrete Hamsterräder, denen wir uns ausgeliefert fühlen und die wir zugleich selbst mit antreiben.

Zudem ist das Bild zivilisationsgeschichtlich noch recht jung: Unseren Vorfahren wäre es bis vor rund 200 Jahren weithin unverständlich gewesen, denn Zeit und Geschwindigkeit waren für sie keine wirklich interessanten Themen. Zeit schien sich für sie wie in einer geschichtlichen Dauerschleife zu wiederholen. Und die maximale Geschwindigkeit hatte sich für sie über zwei Jahrtausende hinweg vom ägyptischen Streitwagen bis zur Reisekutsche König Ludwigs XIV. kaum erhöht: Mehr als gut 20 km/h Spitze waren beim Rennen, Reiten, Fahren, Nachrichten Übermitteln selten drin. Die Zeit- und Geschwindigkeitsgefühle bewegten sich bis dahin also in einer menschheitsgeschichtlichen wie anthropologischen Konstante. An Tempo und Rasen dachte noch niemand. Heute wissen wir, dass Geschwindigkeit einerseits eine messbare Bewegung im Raum ist. Sie ist andererseits aber auch an menschliche Wahrnehmung gebunden. Und beides geht oft nicht konform. Schnell oder langsam ist auch eine Kopf- und Bauchsache, abhängig von Erfahrungen und Erwartungen, von Sichtweisen und Situationen. Denn wie wir wahrnehmen, ist primär »kulturell« organisiert: geknüpft an subjektive Empfindungen wie an historische und gesellschaftliche Deutungen von Raum und Zeit.

Der getöte Raum
Dramatisch beschleunigt wird die historische Welt also erst nach 1800. Da ermöglicht die Schnellpost mit ihrem technisch-logistischen System fester Fahrpläne, chaussierter Straßen und regelmäßiger Pferdewechsel zunächst ein geplantes und zügiges Reisen. Dann explodieren Geschwindigkeit und Mobilität förmlich mit dem europäischen Siegeszug der Eisenbahn. Durch die doppelte, bald vierfache Fahrtgeschwindigkeit entstehen nun völlig neue Räume, Landschaften und Erfahrungsweisen der Moderne. Heinrich Heine notiert diese Vision 1843 auf der Fahrt mit der ersten französischen Eisenbahnlinie von Paris nach Rouen: »Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unserer Anschauungsweise und in unseren Vorstellungen! Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt uns noch die Zeit übrig. (...) Mir ist, als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linden; vor meiner Tür brandet die Nordsee.« [...]


 
Alexandra Deak/Arnd Pollmann
Marinieren, Tranchieren, Ignorieren
Der exorzistische Kult ums Essen
 
Johanna Gonçalves Martín
Leben geben
Geburten in Amazonien und im Westen
 
Arnd Pollmann/Bertram Lomfeld/ Stefan Huster/Peter Siller
Ist es links? >Veggieday<
 
Ina Kerner
Leben im Kapitalismus: >Die Leiter zum Eigenheim<
 
Ulrike Martiny
Straßenreiniger und Müllwerker
Wenn Flexibilisierung auf Familialisierung trifft
 
Tatjana Hörnle
Am Beispiel des Niqab
Zu den rechtlichen Grenzen von Lebensformen
 
Michael Eggers
Wie spricht man über die Einrichtung des Alltags?
Zur undeutlichen Evidenz der Literatur
 
Julia Roth
It’s fucking political!
Die notwendige Kritik normativer Lebensformen
 
Kerstin Carlstedt
Warenhaus Hamburg
Mit Martin für einen Euro sechzig unterwegs
 
Susann Neuenfeldt/Simon Strick
Hallo Karthago/Hallo Rom: >Wir leben, und sind nicht allein<
 
Johanna-Charlotte Horst
Mein halbes Jahr: ›Literatur‹
Franz Kafka – Michel Leiris – Gilles Deleuze
 
Christoph Raiser
Mein halbes Jahr: ›Musik‹
Von Spar – Der Mann – Erfolg
 
Matthias Dell
Mein halbes Jahr: ›Film‹
Boyhood – Monsieur Claude und seine Töchter – Honig im Kopf



AUTONOMIE

 
Christoph Menke
So sind sie – So leben sie
Autonomie und Befreiung
 
Christian Berkes
Airbnb, Wohntourismus
20 Thesen zum Plattformkapitalismus am konkreten Fall
 
Viktor Tóth
Techno als Lebensform?
Ein Selbstexperiment
 
Martin Saar
Bildpolitik: >Heimatschutz<



SCHÖNHEITEN

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