Stephan LessenichAlles so schön jung hier?Lebensführung im Alter |
Deutschland altert: Dieser Einsicht kann sich hierzulande mittlerweile niemand mehr entziehen. Aber was soll das eigentlich heißen? Können Gesellschaften überhaupt »altern«? Wie hat man sich eine »alternde« Gesellschaft vorzustellen? Als eine Kollektivperson, die langsam Falten kriegt und Altersspeck ansetzt? Als einen Sozialkörper, der zunächst anfängt, betulicher zu werden, um bald schon bei jeder Bewegung zu ächzen und zu stöhnen?
Folgt man den amtlichen Bevölkerungsvorausberechnungen (was man durchaus nicht ohne Weiteres tun sollte), dann wird die Zahl der unter 20-Jährigen von gegenwärtig circa 16 Millionen auf etwa 10 Millionen im Jahr 2060 abnehmen, die der über 65-Jährigen hingegen von knapp 17 Millionen auf rund 22 Millionen ansteigen. Anteilig wird sich damit das aktuell bestehende zahlenmäßige Gleichgewicht zwischen jüngeren und älteren Menschen, die jeweils etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung stellen, stark zugunsten der Älteren verschieben: Nach den plausibelsten Berechnungsvarianten werden 2060 noch 16 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen der Altersgruppe unter 20 Jahren angehören, während jeder Dritte von ihnen älter als 65 Jahre sein, jeder Siebte der Wohnbevölkerung sogar bereits das neunte Lebensjahrzehnt erreicht haben wird.
Es ist, als ob der Gesellschaft das Leben ausgingeDeutschland altert also. Das eingängige und vermutlich auch deshalb sozial so verbreitete Bild von der »alternden« Gesellschaft suggeriert, dass die Altersstruktur den Charakter einer Gesellschaft prägt - und dass ein Wandel im Altersaufbau zwangsläufig auch das Wesen des Sozialen verändert. Das Bild gibt zu verstehen, dass es Quantitäten sind, die über die Qualität des gesellschaftlichen Zusammenlebens Auskunft zu geben vermögen. Und es unterstellt, dass die Gesellschaft selbst, in Abhängigkeit von allfälligen Gewichtsverschiebungen zwischen Jung und Alt, zu einer Sozialordnung mutiert, die sich entweder durch der Jugend zugeschriebene Eigenschaften auszeichnet: Lebendigkeit, Innovationsfreude und Zukunftsorientierung; oder aber in Attitüden verfällt, die ihres Zeichens Attribute des Alters sind: Langsamkeit, Besitzstandswahrung und Vergangenheitsverhaftung. [...] |

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