Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #18: Politik der Lebensformen




EDITORIAL

 
Peter Siller/Bertram Lomfeld
Editorial



AUSWEG

 
Rahel Jaeggi
Experimenteller Pluralismus
Lebensformen als Experimente der Problemlösung
 
Stefan Huster
In Freiheit leben
Die transformative Kraft einer liberalen Ordnung
 
Peter Siller
Macht es nicht selbst!
Vom Rückzug des Politischen ins Private geschlossener Lebensformen
 
Anna-Catharina Gebbers
Leben als Gesamtkunstwerk
Wagner – Beuys – Schlingensief
 
Lauren Berlant
Grausamer Optimismus
Warum Fantasien des guten Lebens scheitern
 
Thomas Schramme
Die Formung des menschlichen Lebens
Nachdenken über Mills Idee der Lebensexperimente
 
Christian Neuner-Duttenhofer
Abgetaucht
Warum wir politisch an uns selbst scheitern



ALLTAG

 
Stephan Lessenich
Alles so schön jung hier?
Lebensführung im Alter
 
Wolfgang Kaschuba
Schnelle Fluchten
Vom Umgang mit der Zeit
 
 

Alexandra Deak/Arnd Pollmann

Marinieren, Tranchieren, Ignorieren

Der exorzistische Kult ums Essen


Bio, Slow Food, Veganismus, Kochshows und ein Überangebot an Ernährungsratgebern: Um das gesunde Essen wird ein Wahnsinnshype gemacht. Dieser Hype zahlt sich kommerziell aus und lässt gesundheitspolitische Fortschritte erwarten. Doch besonders dort, wo er zu Hysterie anschwillt, erweist er sich als kontraproduktiv. Seine versteckte Botschaft ist der grassierende Irrglaube, dass wir am Ende selbst die Schuld an unserer Fehlernährung tragen. Diese politische Fehleinschätzung führt zu Frust und Depressionen, aber vor allem auch zu irritierenden Selbsttäuschungen und Klammheimlichkeiten. Rund zwei Drittel der Bevölkerung geben an, dass sie sich bewusst gesünder ernähren wollen. Und doch sieht man dieselben Leute fast täglich an der Currywurstbude stehen oder verstohlen zu Billig-Fleisch, Convience Food oder in die Chipstüte greifen. Wie erklärt sich dieses enorme Ausmaß an Willensschwäche? Und sind die damit verknüpften Selbsttäuschungen der Grund, warum der Hype ums Essen so ungeheuer nervt?

Beginnen wir mit einem philosophischen Exkurs zum Phänomen der Willensschwäche: Von Beginn an ist die intellektuelle Reflexion auf die alltägliche Frage, wie es kommen mag, dass wir »vom Guten wissen und dennoch das Schlechte tun«, sehr eng mit ökotrophologischen Problemstellungen verknüpft gewesen. Schon Sokrates lockte seine Gesprächspartner einst mit der Behauptung aus der Reserve, dass »ihr oft Speisen, Getränken und Liebesgenuss nicht widerstehen (könnt), weil sie angenehm sind, und obwohl ihr wisst, dass diese Dinge schlecht sind, tut ihr sie dennoch«. Dabei ließ der Denker keinen Zweifel daran, dass wir genau das als »schlecht« bezeichnen, was uns »Beschwernisse« oder gar »Krankheiten« bringt. Und auch wenn es aus der Retrospektive irritierend anmutet, dass Sokrates auch die körperliche Liebe für eine Form von schädlicher Fehlernährung hielt, so scheint das Phänomen selbst doch unbestreitbar zu sein: Obwohl wir zumeist recht genau wissen, was gesund oder aber schlecht für uns ist, handeln wir dennoch häufig direkt wider besseres Wissens. Wie ist das möglich?

Folgt man Sokrates, so liegt die folgende Antwort nahe: Wir wählen meist das, was uns kurzfristig angenehm erscheint, weil sich uns das Wissen, dass es langfristig schädlich sein könnte, nicht gleichermaßen affiziert wie das unmittelbar sich aufdrängende Bedürfnis nach sinnlicher Befriedigung. Es handelt sich um eine Art optische Täuschung: Wir »verrechnen« uns, indem wir das nahe Plus an Befriedigung fälschlicherweise für größer halten als das ferne Minus. Wenn das jedoch zutrifft, stellt sich unweigerlich die Frage, ob wir noch länger an der gängigen Problembeschreibung festhalten können, nach der wir »vom Guten wissen und es dennoch nicht tun«. Die provozierende Antwort, die Sokrates selbst auf diese Frage gibt, lautet: Nein, die Problembeschreibung ist falsch, denn wer das (langfristig) Falsche für (kurzfristig) gut hält, weiß eben doch nicht wirklich, was (alles in allem) gut für ihn ist.

Genau das führt uns fast notwendig zu einem verblüffenden Befund: Das Problem eines Handelns »wider besseres Wissen« ist im Grunde gar nicht existent. Und man würde Sokrates für diese Weigerung, das Problem der Willensschwäche ernst zu nehmen, am liebsten gleich zu einem ausschweifenden Abendessen oder auch Symposium (griech. für »Saufgelage«) einladen, wenn dessen philosophischer Befund nicht tagtäglich durch das Verhalten aufgeklärter Konsumenten widerlegt werden würde. [...]


 
Johanna Gonçalves Martín
Leben geben
Geburten in Amazonien und im Westen
 
Arnd Pollmann/Bertram Lomfeld/ Stefan Huster/Peter Siller
Ist es links? >Veggieday<
 
Ina Kerner
Leben im Kapitalismus: >Die Leiter zum Eigenheim<
 
Ulrike Martiny
Straßenreiniger und Müllwerker
Wenn Flexibilisierung auf Familialisierung trifft
 
Tatjana Hörnle
Am Beispiel des Niqab
Zu den rechtlichen Grenzen von Lebensformen
 
Michael Eggers
Wie spricht man über die Einrichtung des Alltags?
Zur undeutlichen Evidenz der Literatur
 
Julia Roth
It’s fucking political!
Die notwendige Kritik normativer Lebensformen
 
Kerstin Carlstedt
Warenhaus Hamburg
Mit Martin für einen Euro sechzig unterwegs
 
Susann Neuenfeldt/Simon Strick
Hallo Karthago/Hallo Rom: >Wir leben, und sind nicht allein<
 
Johanna-Charlotte Horst
Mein halbes Jahr: ›Literatur‹
Franz Kafka – Michel Leiris – Gilles Deleuze
 
Christoph Raiser
Mein halbes Jahr: ›Musik‹
Von Spar – Der Mann – Erfolg
 
Matthias Dell
Mein halbes Jahr: ›Film‹
Boyhood – Monsieur Claude und seine Töchter – Honig im Kopf



AUTONOMIE

 
Christoph Menke
So sind sie – So leben sie
Autonomie und Befreiung
 
Christian Berkes
Airbnb, Wohntourismus
20 Thesen zum Plattformkapitalismus am konkreten Fall
 
Viktor Tóth
Techno als Lebensform?
Ein Selbstexperiment
 
Martin Saar
Bildpolitik: >Heimatschutz<



SCHÖNHEITEN

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